Was würde sich für dich ändern, wenn deine Herkunft egal wäre? Vier Berliner*innen erzählen

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Ich bin in Berlin groß geworden. Meine Eltern und sogar meine Großeltern sind beziehungsweise waren Berliner*innen. Hier fühle ich mich wohl, hier lebt meine Familie, hier komme ich her, hier bin ich zu Hause. Ich habe auch schon mal für einige Wochen oder Monate nicht in Berlin gelebt oder war auf Reisen. Ich habe erlebt, wie es sich anfühlt, eine andere Herkunft zu haben, als die Menschen um mich herum. Auf Reisen habe ich mir oft gewünscht, ich würde nicht als Reisende erkannt werden, ich würde die Sprache perfekt beherrschen und dazu gehören. Ich habe immer angenommen, dann könnte ich das Land auf eine andere Weise erleben. Doch bin ich stets nach Berlin zurückgekehrt, niemals habe ich versucht, mir ein neues Leben in einer fremden Umgebung aufzubauen.

Ganz anders geht es vielen Freund*innen von mir. Sie sind mit mehreren Kulturen aufgewachsen, mit ihren Eltern früh ausgewandert, sie werden mal aufgrund ihres "nicht-deutschen" Aussehens vorverurteilt oder haben selbst Probleme in dem Herkunftsland ihrer Eltern. Ich wollte von ihnen wissen, was sich für sie ändern würde, wenn ihre Herkunft beziehungsweise die ihrer Eltern mal keine Rolle mehr spielen würde.

Viktoria hat usbekische Eltern

© Lisa Budzynski

In Deutschland und speziell Berlin wahrscheinlich nicht viel. Durch die Multikulturalität und Offenheit in Berlin hatte ich oft das Gefühl, dass ich zum größten Teil genauso behandelt wurde und werde wie jeder "richtige Deutsche". Allerdings hat mir meine Herkunft persönlich immer das Gefühl gegeben, etwas Spezielles, im positiven Sinne etwas Exotisches zwischen den 100% deutschen Kids zu sein und eine ganze andere Welt zu kennen. Genauso fühle ich mich aber auch im Heimatland meiner Eltern. Hier fühle ich mich nicht akzeptiert. Ich bin keine Gleichgesinnte in den Augen anderer Usbeken. Ich kann die Sprache nicht (nur Russisch, nicht Usbekisch, und das mit Schwierigkeiten und Akzent) und habe eine westliche Mentalität, die mich dort wie ein "reicher weirdo" erscheinen lässt.

Gökhan ist in Deutschland geboren und hat türkische Eltern

© Privat

Ich glaube, dass meine Herkunft eine sehr große Rolle in meinem Leben spielt und vieles beeinflusst. Wäre diese nicht relevant, würde sich vieles für mich ändern und wahrscheinlich vereinfachen. Früher, als ich jünger war, hat die Herkunft noch eine größere Rolle gespielt. Wahrscheinlich weil ich auf dem Land aufgewachsen bin und die Menschen dort allgemein etwas isolierter waren. Ich gewöhnte mich daran, dann war ich halt „der Türke“. Obwohl ich in der Großstadt nicht mehr direkt angepöbelt werde oder Menschen mir aufgrund meiner Herkunft gegenüber aggressiv werden, gibt es trotzdem noch kleine feine Unterschiede, die mich spüren lassen, dass ich nach 30 Jahren irgendwie immer noch nicht 100% dazugehöre, zu diesem Land und zu den Menschen.

Kleine Benachteiligungen bei Bewerbungen oder bei "Kontrollen", die mir häufiger widerfahren als meinen Freunden. Selbst banale Sachen wie keine Matches bei Dating-Apps zu bekommen, während sich mein deutscher Arbeitskollege vor Treffen nicht retten kann, nagt an mir. Es geht manchmal soweit, dass ich mich, obwohl ich in Deutschland geboren und aufgewachsen bin, wundere, ob ich tatsächlich an einem falschen Ort bin und dort hingehöre, wo meine Eltern herkommen. Gleichzeitig spielt die Herkunft auch eine sehr große Rolle in der Familie. Der kulturelle Hintergrund schränkt mich sehr ein und macht alles noch komplizierter. Ich fühle mich ständig im Spagat zwischen zwei Kulturen und versuche diese irgendwie koexistieren zu lassen. Leider ist dies nicht so einfach und ich bin konstant hin- und hergerissen zwischen Familie, Kultur, dem Land und der eigenen verwirrten Identität. Wie sehr darf/kann ich mich von der Kultur der Eltern fortbewegen, ohne diese ganz zu verlieren? Was und wo ist „Heimat“? Mit den Jahren wird dieser Zwiespalt immer schwieriger und die dauerhafte Ungewissheit, macht mich mental fertig.

Stella wurde in Rom geboren und hat deutsch-israelische Eltern

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Wenn meine Herkunft oder die meiner Eltern egal wäre, würde mir in jedem Fall etwas fehlen, nämlich ein Teil meiner Geschichte, schließlich kommen andere Menschen ja auch immer irgendwo her. Was ist Herkunft überhaupt? Bezieht sie sich auf unser Elternhaus und auf die eine oder andere Landesgrenze, diese oder jene Sprache und entsprechende Kultur.

Ich verbinde Herkunft sowohl mit innen als auch mit außen. Ich wurde in Rom geboren und bin irgendwo zwischen München und Tel-Aviv aufgewachsen. Wenn mich jemand fragt, wo ich "herkomme", antworte ich: "Aus Berlin." Meine Mutter wurde in Israel geboren, mein Vater ist Deutscher. Sie haben immer gesagt: "Sei in der Welt zu Haus!". Und das habe ich mir zu Herzen genommen. Wäre die Herkunft meiner Mutter egal, wären wir nicht nach Israel gezogen, denn sie hätte nie den Traum gehabt, endlich nach Hause zu kommen. Anzukommen. Wäre Deutschland nicht auch irgendwann einmal zu Hause gewesen, wären wir auch dorthin nicht zurückgekehrt. Unsere Herkunft ist Teil unserer Vergangenheit, und selbst wenn diese nur eine Geschichte ist, die wir uns selbst erzählen, so erzählen wir sie doch nicht selten. Gleichzeitig ist das Thema Herkunft aber auch auf eine Art tatsächlich egal, wenn man wie ich, sehr lange auf keine Grenzen stößt. Wenn es keinen Grund gibt, das Land aus dem man kommt, notgedrungen zu verlassen. Wenn es keine Kriege gibt, keine Mauern, keine Naturkatastrophen, keine Menschenrechtsverletzungen, dafür ausreichend Nahrung, Sicherheit, Bildung und eine unendliche Anzahl von Möglichkeiten. Ich bin tatsächlich in der Welt zu Hause, reise die meiste Zeit. Und all das kann ich, weil meine Herkunft nicht egal ist. Weil ich unter anderem einen deutschen Reisepass besitze und eine unendliche Anzahl von Möglichkeiten.

Rafał ist in Polen geboren und aufgewachsen

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Herkunft hat jeder, man kann sie vortäuschen, aber egal ist sie nie. Mein Ursprung beeinflusst wer ich bin, wie ich denke, wie ich mich entwickeln werde, wenn ich wählen werde. So funktionieren doch Stereotypen, die wir alle benutzen. Ich bin ein Bauernkind, ein Europäer, ein Einzelkind, ein Schlesier, ein Angestellter, ein Pole, ein Studierter, ein Berliner, ein Mann, ein Raucher, ein Deutscher, ein Fahrradfahrer, ein Christ, ein Arsch, ein Alkoholiker, ein Muttersöhnchen, ein Freigeist. Wenn das egal sein würde, wer wäre ich?

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