Macht Erfolg glücklich oder Glück erfolgreich?

© Milena Zwerenz

Viele von uns wachsen mit dem Wunsch nach Erfolg auf. Mit der diffusen Vorstellung von einer fernen Zukunft, in der wir die Karriereleiter erklommen und all unsere Ziele erreicht haben. Was genau diese Ziele sind, was am Ende der Karriereleiter liegen soll und wie es uns auf dem Weg dorthin geht, hinterfragen wir erst einmal nicht. Wir haben Erkenntnisse aus Psychologie und Ökonomie gesammelt, die spannende Denkanstöße liefern zum Zusammenhang zwischen Zielen, Erfolg und Glück.

Ziele: Die Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit

Ziele können uns motivieren, ein aktives, erfülltes Leben zu führen, uns zu entfalten und Erfolgserlebnisse zu sammeln. Wenn wir sie denn richtig wählen. Stecken wir uns zu hohe Ziele erzeugen wir jedoch unweigerlich Frustration und Unzufriedenheit, wie eine neue Untersuchung empirisch belegt.

In einer umfangreichen Studie zum Thema Lebenszufriedenheit untersuchten die italienischen Ökonomen Marco Bertoni und Luca Corazzini den Zusammenhang zwischen zwei Fragen: “Wie zufrieden sind Sie derzeit mit Ihrem Leben insgesamt?” Und: “Wie zufrieden, denken Sie, werden Sie in fünf Jahren sein?” Als Grundlage diente ihnen das “Sozio-ökonomische Panel” des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, eine umfangreiche jährliche Befragung mit über 20.000 Teilnehmern.

Über zwölf Jahre hinweg sammelten die Wissenschaftler Erkenntnisse über die Erfolge und Enttäuschungen der Befragten. Ergebnis: Menschen, die ihre eigenen Erwartungen und Ziele nicht erfüllen, sind signifikant unzufriedener. Es sei der Graben zwischen Wunsch und Wirklichkeit, der unzufrieden macht, so Bertoni und Corazzini. Doch selbst “erfolgreiche” Menschen sind den Forschern zufolge nicht auf Dauer zufrieden. Denn die Freude über die erreichten Ziele hält nicht lange an. Kaum ist etwas erreicht, setzen wir uns neue, noch höhere Ziele. Der sogenannte Referenzpunkt verschiebt sich und es entsteht neue Unzufriedenheit. Wunsch und Wirklichkeit liegen wieder auseinander – ein Effekt, den Soziologen als “Selbstdiskrepanz” bezeichnen.

Letztlich identifizierten die Forscher in ihrer Untersuchung eine ganz einfache Formel für ein zufriedenes Leben: “Setzen Sie sich keine unerreichbaren Ziele. Hängen Sie die Latte nicht zu hoch.”

Wieso wir arbeiten

“Beruflicher Erfolg ist eben nicht alles”, fügt Bertoni hinzu. Aber ist ein erfülltes Berufsleben nicht trotzdem ein wichtiger Faktor für ein zufriedenes Leben? Absolut. Doch dafür muss “Arbeit neu gedacht werden”, wie der Psychologe Barry Schwartz in seinem Buch “Why we work” darlegt.

Unsere Wirtschaftswelt basiere noch immer auf den Gedanken klassischer Ökonomen wie Adam Smith und Frederick Taylor, erläutert Schwartz, – den Urvätern der Arbeitsteilung und Fließbandproduktion. Diese Denker gingen davon aus, dass Menschen ausschließlich arbeiten, um Geld zu verdienen. Ohne materielle Anreize würden sie nichts tun, Sinn oder Erfüllung spielten keine Rolle. Dieses Menschenbild war schließlich die Grundlage für Arbeitsteilung, Fließbandarbeit und Industrialisierung. Anstatt ein ganzes Produkt herzustellen, führten Arbeiter nur noch repetitive Einzelschritte in der Kette aus, um die Produktivität zu maximieren. Prinzipien, die unsere Berufswelt bis heute prägen.

Die Annahme, dass Menschen nur um des Geldverdienens willen arbeiten, habe letztlich zu einer Arbeitswelt geführt, in der Tätigkeiten so von ihrem Sinn entkoppelt sind, dass sich Menschen tatsächlich nur noch über Geld motivieren können – eine “self-fulfilling prophecy”. Aus der Vorstellung heraus, dass die menschliche Natur auf Erfolg und Profit ausgelegt ist, wurde ein System geschaffen, welches Geld und Belohnung in den Vordergrund stellt, so Schwartz. In der Folge seien fast 90 Prozent der Menschen von ihrer Arbeit frustriert. Zu diesem Ergebnis kam eine Untersuchung des Umfrageinstituts Gallup unter 25 Millionen Beschäftigten in 189 Ländern.

Doch in einer Zeit, in der die “Generation Y” die Berufswelt übernimmt, funktioniert Geld allein als Motivator nicht mehr. Immaterielle Werte wie Sinn, Freude, persönliche Entfaltung und zwischenmenschliche Beziehungen spielen für die Wahl des Arbeitgebers eine immer größere Rolle. Eine Entwicklung, die die bewährten Prinzipien des Wirtschaftslebens vor große Herausforderungen stellt, denn die meisten Arbeitgeber operieren noch immer nach den Maximen der Effizienz und der monetären Anreize. Für Schwartz ist dieses Umdenken jedoch essentiell. Denn immaterielle Werte spielen seinen Erkenntnissen zufolge eine wesentlich größere Rolle für die Zufriedenheit im Berufsleben und das Glücksempfinden als materielle.

Was uns wirklich glücklich macht

In der bislang langjährigsten Studie zum Thema Glück begleiteten Wissenschaftler der Universität Harvard die Teilnehmer mehr als 75 Jahre lang, um zu untersuchen, was ein gesundes und glückliches Leben ausmacht. Selbst John F. Kennedy war unter den Teilnehmern der Studie, die 1930 mit 268 männlichen Probanden begann.

Wenig überraschend gaben die meisten zu Beginn der Untersuchung an, nach Geld, Erfolg und Berühmtheit zu streben. Doch nicht die reichsten, erfolgreichsten und berühmtesten Teilnehmer waren letztlich am zufriedensten. Ein ganz anderer, unerwarteter Faktor spielte die größte Rolle: Die Beziehungen zu ihren Mitmenschen. Dabei ging es nicht um die Menge oder die Art der Beziehungen – ob verheiratet oder Single – sondern einzig um die Qualität der Beziehung. Am glücklichsten waren diejenigen, die enge, positive Beziehungen in ihrem Leben hatten. Ein einziger wirklich enger Freund kann nach Ansicht der Forscher mehr zu Glück und Gesundheit beitragen als Sport, Ernährung oder Wohlstand.

Wieso Glück erfolgreich macht – und nicht umgekehrt

Realistische Ziele, eine sinnvolle Arbeit und enge Beziehungen sind also ausschlaggebend für ein zufriedenes Leben. Aber was ist nun mit dem Erfolg? Heißt das, wir müssen alle glückliche “Loser” sein?

Nein. Denn glücklicherweise sitzen wir mit der üblichen Kette “Harte Arbeit - Erfolg - Glück” einem Denkfehler auf, wie Shawn Achor, Glücksforscher mit Abschluss an der Universität in Harvard, ausführt. Ein Gehirn in positivem Zustand arbeitet wesentlich besser, konnte er in Untersuchungen belegen. Das heißt, Intelligenz, Kreativität und Energielevel steigen bei glücklichen Menschen signifikant an. “Im positiven Zustand ist das Gehirn 31 Prozent produktiver. Verkäufer steigern ihre Leistung um 37 Prozent. Ärzte arbeiten 19 Prozent schneller und akkurater, wenn ihr Gehirn in einem positiven Zustand ist”, so Achor.

In einer Welt, in der möglichst “harte” Arbeit als Voraussetzung für Erfolg, Status und Glück gesehen wird, können die meisten von uns jedoch gar nicht auf unsere vollen Kapazitäten zugreifen. Denn positiv gestimmt sind wir bei dieser Arbeit nicht. “Jedes Mal, wenn das Gehirn einen Erfolg verbucht, wird die Latte danach höher gehängt: Du hast gute Noten bekommen, jetzt musst du bessere Noten bekommen. Du hast deine Verkaufsziele erreicht, jetzt werden sie erhöht”, so Achor. Die oben genannten zu hohen Zielsetzungen stehen damit nicht nur der Zufriedenheit im Weg, sondern auch der Leistung. “Wenn Glück auf der anderen Seite von Erfolg steht, wird das Gehirn nie dorthin gelangen. Wir als Gesellschaft haben Glück über unseren geistigen Horizont hinausgeschoben, weil wir glauben, dass wir erfolgreich sein müssen, um glücklich zu sein. Unser Gehirn arbeitet jedoch genau anders herum.”

Als Weg, um das Gehirn umzuprogrammieren, nennt Achor eine klassische Achtsamkeitsübung: Drei gute Dinge. Wer 21 Tage in Folge jeweils drei Dinge aufschreibt, die an dem Tag besonders positiv waren, kann sein Gehirn darin schulen, das Positive stärker wahrzunehmen. Und damit Leistungsfähigkeit und Zufriedenheit zugleich erhöhen.

Zurück zur Startseite