ISIS, Tinder, Kopftuch-Zwang – Im Gespräch mit dem Berliner Imam Said Ahmad Arif

© Clint Lukas

Es war lange überfällig. Nicht nur, dass ein Imam gut in die vorliegende Reihe passt. Ich wollte mich auch schon längst mal mit ihnen beschäftigen. Mit diesen Leuten, von denen man in letzter Zeit so oft hört. Muslime. War da nicht gerade was bei Anne Will? Sind das nicht die mit den Kopftüchern?
Der Islam ist ein Teil unseres Lebens. Für manche ein Schreckgespenst. Für andere eine ganz normale Facette in diesem ulkigen Biotop, called „Gesellschaft“. Abendland, Morgenland, Leitkultur, leck mich am Arsch. Wird Zeit, dass ich mir ein eigenes Bild mache.

Leider stellt sich das als schwierig heraus. Aus Prinzip blauäugig, schreibe ich diverse Moscheen an. Sehitlik am Columbiadamm. Umar Ibn Al-Khattab am Görlitzer Bahnhof. Keine Antwort. Über Bekannte besorge ich mir direkte Kontakte zu zwei weiteren Imamen, die mir als aufgeschlossen dargestellt werden. Die Wochen ziehen ins Land. Ich krieg nicht mal Absagen. Was ist los? War ich zu hemdsärmelig? Sollte es ein Problem sein, dass ich vor nicht allzu langer Zeit eine Domina und eine schwule Nonne porträtiert habe? Was ist mit der ständig gepredigten Offenheit? Leicht verstört starte ich noch einen Anlauf. Stoße dabei auf die Website der Khadija-Moschee in Pankow-Heinersdorf. Gleich auf der Startseite steht der Name des zuständigen Imam. Das ist mir bisher noch nicht begegnet. Sogar mit E-mail und Telefonnummer. Dreißig Sekunden später hab ich ein Date.

© Clint Lukas

Bevor ich losgehe, ziehe ich geistesgegenwärtig das Paar Socken ohne Löcher an. Da muss man ja die Schuhe ausziehen. Dann auf nach Pankow. Zwischen Kentucky Fried Chicken und Autowerkstatt steht die Moschee, gegen deren Eröffnung im Jahr 2008 soviel protestiert wurde. Imam Said Ahmad Arif empfängt mich im Hof.

Er ist Anfang 30, geboren in Pakistan, aufgewachsen in Wiesbaden.
Während er mir die Moschee zeigt, machen wir zwanglosen Smalltalk über die Errungenschaften des Abendlandes: AfD, Pegida, Brexit, Trump. Danach folge ich ihm in sein Büro im Gemeindehaus. Bei Kaffee und Keksen beginnen wir mit dem Interview.

„Herr Arif“, sag ich. „Ist vielleicht unfair, dass ich ausgerechnet sie das frage. Aber können sie mir erklären, warum mir bisher kein einziger Imam geantwortet hat?“
„Manche Gemeinden sind ziemlich klein“, sagt er. Seine Worte klingen spontan, aber hintergründig. „Die Mitglieder arbeiten alle ehrenamtlich. Da bleibt sowas bestimmt manchmal liegen. Ich würde sagen, das ist eine organisatorische Schwäche.“
„Aber die Sehitlik-Moschee hat eine eigene Pressestelle. Das kann doch nicht sein.“
„Tja, in dem Fall weiß ich auch nicht. Da müssen sie die fragen.“

Bei der Recherche im Vorfeld musste ich feststellen, dass es über siebzig Strömungen im Islam gibt. Arif gehört der Ahmadiyya-Gemeinschaft an, die um 1900 in Indien entstanden ist. Sie gilt als eine der weltoffensten Traditionen, wird jedoch von den meisten Muslimen als ketzerisch abgelehnt.
„Können sie mir kurz erklären, was Ahmadiyya Muslim Jamaat ist?“, frag ich.
„Ja, natürlich. Allgemein gesagt, warten die meisten muslimischen Strömungen auf die Wiederankunft eines Propheten. Die Ahmaddiyya dagegen glaubt, dass der Prophet, oder Messias, wenn sie so wollen, bereits erschienen ist. Und zwar 1889, als Mirza Ghulam Ahmad.“
„Das kommt mir irgendwie bekannt vor.“
„Ja, man kann das grob mit den Christen vergleichen. Und wie sie aus dem Judentum hervorgegangen sind. Allerdings sind wir keine neue Religion, sondern bekennen uns zum Islam.“

Ich sehe mich als praktizierenden Moslem. Die anderen können denken, was sie wollen.

Er erklärt mir, dass die Gemeinden weltweit um Transparenz bemüht sind. So wird in Berlin auch immer zuerst auf deutsch gepredigt, erst danach auf Urdu.
„Und wie ist es, einer Glaubensrichtung anzugehören, die von den meisten Muslimen geächtet wird?“
Imam Arif zuckt mit den Schultern. „Was soll man dazu sagen? Ich sehe mich als praktizierenden Moslem. Die anderen können denken, was sie wollen.“
„In Pakistan wird Ihre Bewegung verfolgt. Sind ihre Eltern deswegen ausgewandert?“
„Ja, mein Vater ist Maschinenbau-Ingenieur. Aber er arbeitet seit Jahrzehnten als Taxifahrer in Wiesbaden. In Pakistan ist es Gesetz, dass wir unsere Moscheen nicht Moschee nennen dürfen. Wir dürfen den islamischen Gruß nicht verwenden. Sonst werden wir wegen Blasphemie verurteilt. Darauf stehen zwei Jahre Gefängnis. Oder sogar die Todesstrafe.“
„Und wie ist es hier in Berlin? Gibt es hier auch eine Ausgrenzung? Weiß der durchschnittliche Moslem überhaupt, was Ahmadiyya ist?“
„Nein, die meisten wissen das nicht. Die wissen ja nicht mal, was der Islam eigentlich ist.“
„Ist das eine einsetzende Säkularisierung?“
„Vielleicht bei manchen. Aber ich rede auch von Muslimen, die sich als gläubig bezeichnen. Die beten gehen, aktiv sind. Wenn man mit einigen diskutieren will, sagen sie nur ‚Allahu a’lam’ – Allah weiß es am besten. Zu allem sagen die das. Sie setzen sich nicht wirklich mit ihrer Religion auseinander.“
„Die Ahmadiyya-Bewegung gilt als sehr missionarisch. Stimmt das?“
„Naja, wissen sie“, lacht Arif. „Es heißt immer, die Muslime zeigen sich nicht, die haben was zu verbergen. Aber wenn wir uns dann mal mit einem Infostand auf die Straße stellen, um den Menschen zu begegnen, sagen die gleich, wir missionieren.“

Okay. Und was machen sie so privat?

„Okay. Und was machen sie so privat? Irgendein Hobby?“
„Hm, ein Hobby…“ Er überlegt ziemlich lange, dann hellt sich sein Gesicht plötzlich auf.
„Ich geh gerne joggen! Und spiele ab und zu Fußball.“
„Und mögen sie Filme? Haben sie eine Lieblingsserie?“
„Nein, also… ich habe zwar einen Fernseher, aber ich schaue kaum fern. Da liegen meine Prioritäten woanders, tja.“, sagt er und wirkt fast, als wolle er sich entschuldigen. „Ich fürchte, ich bin ziemlich langweilig.“
„Ach, was. Ich hab gar keinen Fernseher. Trinken Sie Alkohol?“
„Nein. Noch nie.“
„Und was halten sie von der sogenannten Generation Y? Die sich in Clubs mit Drogen zuknallt und in Selbstzweifeln zergeht, obwohl sie alle Möglichkeiten hat?“
„Was uns als Menschen ausmacht, ist, dass wir nach einem Sinn suchen können. Die Honigbiene kann Honig machen. Die Taube kann fliegen. Aber wenn die Biene keinen Honig mehr macht und die Taube nicht fliegt…“
„Echt?“, frag ich. „Bienen und Tauben?“
„Es ist die Aufgabe des Menschen, sich spirituell weiterzuentwickeln. Wir glauben, dass man ‚die zwei Lieben’ in sich entdecken muss. Die Liebe zum Menschen und die Liebe zu Gott.“

„Wo wir gerade bei westlichen Werten sind: Was halten sie von TINDER?“
„Ist das so eine Dating-App? Wo die Leute sich für sexuelle Kontakte verabreden?“
„Genau.“
„Ich denke, das ist schädlich für unsere Gesellschaft. Deutschland hat ein demografisches Problem, es gibt zu wenige Kinder. Weil viele keinen Rahmen mehr dafür finden. TINDER ist das perfekte Symbol dafür, sich von diesem Rahmen zu distanzieren. Obwohl man sich vielleicht danach sehnt. Nutzen das denn viele?“
„Keine Ahnung. Ist wahrscheinlich auch schon wieder ein alter Hut.“

Die Zeit hat bewiesen, dass wir gar nicht so schlimm sind.

Während ich mir Kaffee nachschenke, komme ich auf Da’esh zu sprechen (die korrekte Aussprache für den sogenannten "Islamischen Staat“).
„Sie machen viel Jugendarbeit“, sag ich. „Spüren sie da eine Veränderung? Haben sie mit Radikalisierungen zu tun?“
„Wegen dieser Al-Baghdadi-Sache? Ich kann zum Glück sagen, dass es seit 1889 keinen einzigen Fall gegeben hat, in dem ein Mitglied unserer Gemeinde einen religiös motivierten Anschlag verübt hat. Bei uns ist schon jedem Kind klar, dass der IS ein rein politisches Gebilde ist und nichts mit dem Islam zu tun hat.“
„Aber es gibt doch viele junge Leute, die von der Idee eines Islamischen Staates begeistert sind.“
„Naja, wissen sie. Die Strukturen in Syrien und im Irak sind korrupt. Und Deutschland schickt nur immer mehr Waffen da runter. Die Menschen sehnen sich nach Frieden. Wenn da irgendwer kommt und ihnen vermeintliche Stabilität verspricht, nehmen sie das an. Egal, ob der nun IS oder anders heißt.“
„Da bin ich ganz ihrer Meinung. Aber ich rede von den Sympathisanten, die sich hier bei uns in den Foren rumtreiben.“
Arif schüttelt ungeduldig den Kopf. „Dann sollen die doch dahin gehen, wenn die den IS so toll finden. Bei uns gibt es keinerlei Sympathie. Unser Kalif sagt ganz klar, dass Al-Baghdadi eine Gefahr für die gesamte Welt darstellt.“
„Letzte Frage“, sag ich. „Glauben sie, dass Integration überhaupt möglich ist?“
„Natürlich. Aber es ist nicht leicht. Ich habe in Toronto studiert. Da ist es auch so wie hier, sehr multikulturell. Aber egal, wo die Menschen herkommen, sie identifizieren sich als Kanadier, sie stehen loyal zu ihrem Land. In Deutschland ist das nicht so der Fall. Das liegt sicher auch an dem Misstrauen, dass den Muslimen pauschal entgegen gebracht wird.“
„Aber es gibt doch auch Parallelgesellschaften, die überhaupt kein Interesse daran haben, sich der Demokratie anzupassen.“
„Die Gesetze dieses Landes müssen von jedem geachtet werden. Das ist ganz wichtig. Genauso wichtig, wie die deutsche Sprache zu lernen. Und das vermittle ich auch jedem in meiner Gemeinde.“

Als er mich nach draußen begleitet, fällt mein Blick auf die Wohnhäuser gegenüber.
„Haben sich die Nachbarn inzwischen mit ihnen angefreundet?“, frag ich.
„Ja“, sagt er lächelnd. „Wir sind ja nun schon seit acht Jahren hier. Und es gab keine Gewalt, keinen Verkehrskollaps. Die Grundstückspreise sind auch nicht gefallen. Im Gegenteil. Die Zeit hat bewiesen, dass wir gar nicht so schlimm sind.“

Er schüttelt mir die Hand und geht nach nebenan, um sein Auto aus der Werkstatt zu holen. Praktisch, so eine nachbarschaftliche Hilfe.

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