Wie viel Schreien kann ein Mensch ertragen?
Wie spricht man am besten über Herausforderungen im Familienalltag? Viele Eltern treiben die gleichen Sorgen um, auf der Suche nach Lösungen lesen sie einen Ratgeber nach dem anderen. Jede*r hat eine andere Vorstellung von Erziehung und nur selten werden Ängste und Sorgen offen ausgesprochen. Im Familienrat-Podcast besuchen wir die Diplompädagogin Katia Saalfrank und stellen der Expertin eure Fragen rund um Erziehung und Familienleben.
Julia* schreibt: "Ich schreibe euch heute, weil ich langsam nicht mehr weiter weiß. Ich bin Mutter von zwei Kindern, sieben und drei Jahre alt. Meine jüngere Tochter ist von Geburt an nicht einfach im Umgang gewesen. Quasi seit sie auf der Welt ist, schreit sie extrem viel und unglaublich laut. Die Geburt war sehr schnell und sie hatte starke Blockaden, aufgrund derer sie nicht auf dem Rücken liegen konnte bzw. wollte. Sobald sie auf dem Rücken lag, schrie sie wie am Spieß, bis man sie hochnahm oder auf den Bauch drehte. Das schließt alle Tätigkeiten ein, die in dieser Lage stattfinden: Liegen im Kinderwagen, Baden, Fahrradanhänger, Autofahren. Nach vielen Besuchen beim Osteopathen wurde zumindest das Autofahren nach einem knappen Jahr besser, seitdem schreit sie nur noch bei längeren Fahrten. Da ich auf dem Land lebe, bin ich abhängig vom Auto und muss oft längere Strecken fahren, wie zum Kinderarzt, Einkaufen etc. Meine gesamte Elternzeit habe ich rückblickend nur gehofft, dass sie endlich um ist, weil man mit ihr im Endeffekt nichts machen konnte. Meine Hebamme wusste nach diversen Versuchen mit Wippe, Hängematte etc. auch nicht mehr weiter als uns immer wieder zum Osteopathen zu schicken. Die Kinderärztin meinte von Anfang an, sie wäre ein aufbrausendes Kind, es wäre ihre Art, viel zu schreien und sie meinte, dass es sich bessert, wenn sie sprechen kann.
Naja, sie ist nun mittlerweile drei Jahre alt, spricht viel und ist immer noch ein sehr sehr lautes Kind. Ich gehe mittlerweile echt auf dem Zahnfleisch, weil ich mit dem Schreien nicht mehr klar komme, ich hab' es einfach so satt. Bei jeder Gelegenheit, wenn ihr etwas nicht passt, schreit sie los. Ich gieße nicht schnell genug Wasser in den Becher – Schreien. Falsche Farbe des Bechers – Schreien. Will keine Jacke anziehen – Schreien. Ich warte darauf, dass es endlich besser wird, aber ich weiß nicht, wie lange ich noch warten kann, bis ich einen Nervenzusammenbruch bekomme. Ich ertrage sie kaum noch, was mir das Herz zerreißt. Ich weiß einfach nicht mehr, wie ich damit umgehen soll.
Sie ist natürlich gerade auch in einer Trotzphase. Die Gründe, warum sie schreit, sind also meistens völlig absurd, aber wann bitte hört das endlich auf? Und ist es nach der Trotzphase dann endlich vorbei? Sie hört mir überhaupt nicht zu, wenn ich ihr sagen würde "Nein, heute gibt es keine Süßigkeiten, aber dafür Kuchen!" – ich hoffe, ihr versteht wie ich das meine – hätte sie spätestens beim dritten Wort so laut geschrien, dass sie sowieso nicht mitbekommen hätte, dass es supertollen Kuchen gibt.
Was mich so traurig stimmt, ist auch die Tatsache, dass meine große Tochter über einen sehr langen Zeitraum viel zu kurz kam. Sie hat schon eine Art Automatismus, sobald ihre kleine Schwester schreit, fängt sie an sie mit Spielzeug etc. abzulenken. Mein Mann, meine große Tochter und ich, richten uns quasi komplett nach der Kleinen in der Hoffnung, ihr alles recht zu machen und ihr keinen Grund zu liefern, um zu schreien."
*Name geändert
Wenn ihr auch Fragen an Katia Saalfrank habt, dann schickt sie gerne an familienrat@mitvergnuegen.com
Hier findet ihr außerdem noch mehr Informationen zu Katia Saalfrank und ihrem bindungs- & beziehungsorientierten Ansatz: | Kinder besser verstehen | Katia’s Autorenseite auf Amazon
Und hier geht’s zu den Coaching- und Beziehungskarten für den Alltag mit Kindern von Katia Saalfrank.
Supporter des Familienrates ist dieses Mal sofatutor.
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