Dating in Corona-Zeiten fühlt sich an wie eine "Black Mirror"-Folge

© Marit Blossey

Vielleicht kennt ihr das auch: Hin und wieder gibt es Momente, in denen mir auf einmal wieder bewusst wird, dass wir gerade in einer Pandemie leben. Neulich hatte ich so einen Moment, als ich unten am Kotti aus der U-Bahn kam und auf dem Weg zur U1 die Lautsprecherdurchsage dazu hörte, dass man nur mit gültigem Negativtest, Genesenenstatus oder "proof of vaccination" die Bahn nutzen darf. Vielleicht war es das akzentfreie Englisch der Lautsprecherstimme, das mich mehr an Black Mirror erinnerte als an die Durchsagen, die man vor allem von der Deutschen Bahn gewohnt ist – in diesem Augenblick fühlte sich jedenfalls kurz alles seltsam dystopisch an.

Nach fast zwei Jahren Pandemie haben wir uns daran gewöhnt, dass Masken, Kontaktbeschränkungen und Diskussionen rund ums Impfen zu unserem Alltag gehören. Nur noch ab und zu klopft dieser kurze Reality-Check an und erinnert uns daran, dass uns das alles vor zwei Jahren noch völlig verrückt vorgekommen wäre.

Alter, sexuelle Orientierung, Hobbys, Impfstatus

Ein ähnliches Gefühl hatte ich ein paar Tage später wieder und zwar, als ich mir OkCupid runtergeladen habe. Die App fragte mich nach meinem Namen und Alter, nach meiner sexuellen Identität und Orientierung, danach, ob ich eher nach Sex suche oder nach einer Langzeitbeziehung. Und sie fragte mich nach meinem Impfstatus.

Auf meinem OkCupid-Profil klebt jetzt ein "I'M VACCINATED"-Schriftzug ganz oben, in Großbuchstaben, und nicht nur das: Hat jemand die Info in seinem Profil nicht angegeben, fällt mir das gleich auf. Ich stelle mir vor, wie Paul, 28, die Frage genervt beiseite gewischt hat, so als wäre "Impfen – Ja oder Nein" gerade irgendeine Nebensächlichkeit. Ich will nicht wissen, ob du Breaking Bad gesehen hast, Paul, ich würde gern wissen, ob du ein Trottel bist, der sich bewusst dagegen entscheidet, sich solidarisch zu zeigen und dazu beizutragen, dass diese Corona-Dystopie bald mal endet.

Ich will nicht wissen, ob du Breaking Bad gesehen hast, Paul, ich würde gern wissen, ob du ein Trottel bist, der sich bewusst dagegen entscheidet, sich solidarisch zu zeigen.

Wenn ich mich letzten Sommer mit Leuten getroffen habe, stand das Thema Impfung durchaus im Raum – allein schon, weil es eine Person nicht unbedingt sympathisch macht, wenn sie immer noch nicht gecheckt hat, dass "ein gutes Immunsystem" nicht gegen eine Pandemie hilft und Telegram kein seriöser Nachrichtendienst ist. Ich würde es zwar vielleicht nicht wie Chris, 25, handhaben und "Ich schlafe nur mit Impflingen" in meine Bio schreiben, aber ich muss ihm durchaus zustimmen. Trotzdem war Corona im Sommer weiter weg, wenigstens mal für eine Weile, die meisten Verabredungen fanden sowieso draußen statt und wenn ich ehrlich bin, habe ich versucht, gar nicht darüber nachzudenken, dass irgendwann wieder der Winter kommt und mit ihm ziemlich sicher die vierte Welle.

Date mit 2G Plus, knutschen nur mit Schnelltest?

Jetzt, im Januar, mitten in der vierten oder schon fünften Welle, sitzt die "Bist du geimpft?"-Frage nicht mehr bloß am Nebentisch in der Bar, in der ich mich mit meinem Tinder-Date treffe, sie steht eher wie der Türsteher davor. Während die Inzidenzzahlen steigen, mache ich mir wieder mehr Gedanken darüber, ob ich mich noch verabrede, mit wem, und wenn – was passiert dann? Date mit 2G Plus, knutschen nur, wenn wir beide vorher einen Schnelltest gemacht haben? Bringt das bei der Omikron-Variante überhaupt noch was? Reicht mein Booster-Schutz aus? Würde ich gerade mit jemandem nach Hause gehen, mit dem ich zwar eine Nacht, aber nicht unbedingt 14 Tage Quarantäne verbringen würde? Ja, das fühlt sich wirklich alles wahnsinnig ungezwungen und entspannt an gerade, dieses Online-Dating – not.

Die "Bist du geimpft?"-Frage sitzt nicht mehr bloß am Nebentisch in der Bar, in der ich mich mit meinem Tinder-Date treffe, sie steht eher wie der Türsteher davor.

Ich swipe durch die App und muss wieder an Black Mirror denken. Für alle, die die Serie nicht kennen: Jede Folge erzählt eine in sich abgeschlossene Geschichte, eine Gesellschaftsdystopie, meistens wird den Menschen moderne Technik zum Verhängnis. Dating-Apps sind da natürlich ein naheliegendes Thema.

Eine Folge in der vierten Staffel, "Hang the DJ", dreht sich um eine App, die Menschen für eine festgelegte Zeitspanne zusammenbringt. Die App zeigt bei jedem Match einen Countdown an: Manche Paare werden nur für 12 Stunden gematcht, ein klassischer One-Night-Stand mit Ansage; andere für mehrere Monate oder sogar Jahre. Beziehungen also, die von Anfang an ein vorherbestimmtes Ablaufdatum haben. Das geht so lange so weiter, bis die Nutzer*innen ihren "Pairing Day" erreichen: Dann werden sie von der App endlich mit einer Person gematcht, mit der sie den Rest ihres Lebens verbringen werden. Angeblich schafft die App dies mit einer Erfolgsrate von 99,8 Prozent.

© Black Mirror
Würde ich gerade mit jemandem nach Hause gehen, mit dem ich zwar eine Nacht, aber nicht unbedingt 14 Tage Quarantäne verbringen würde?

Wenn es diese Funktion im Real Life in Zeiten von Corona geben würde, was würde die App wohl anzeigen? Könnte sie uns dann schon vor dem ersten Date einen Hinweis geben, ob wir mit dieser Person den nächsten Lockdown verbringen und die nächsten fünf Monate jeden Abend auf der Couch Serien glotzen werden? Ob wir uns verlieben, irgendwann gemeinsam in Quarantäne landen und uns danach niemals wiedersehen wollen? Oder ob wir uns das Treffen (und den Schnelltest) gleich sparen können, weil wir sowieso nur für einen Abend zueinander finden würden? Wüsste ich dann vorher, ob es das Date mit Chris, 25, wirklich wert ist, eine rote Corona-Warn-App in Kauf zu nehmen?

Vierte Base: Lockdown-Tauglichkeit?

Seit Beginn der Pandemie sind Nutzer*innen zunehmend auf engere Kontakte und weniger zwanglose Begegnungen aus, sagen Soziolog*innen und Beobachter*innen verschiedener Dating-Apps. Ist ja auch logisch: Wenn der nächste Lockdown kurz bevorsteht, checkt man lieber gleich ab, ob man sich vorstellen könnte, mit dem Gegenüber einen großen Teil der nächsten Monate zu Hause zu hocken. Dazu wird es zwar hoffentlich nicht mehr kommen, immerhin hat sich unser Gesundheitsminister schon vorsichtig optimistisch geäußert, dass die Rückkehr zur Normalität in diesem Jahr näherrücken könnte als im letzten. Trotzdem ist aufgrund der Situation ein wenig mehr Verbindlichkeit angesagt – und somit werden wir uns wahrscheinlich bald daran gewöhnt haben, dass die Frage nach dem Impfstatus in unserem Alltag immer wieder auftaucht – ob im Büro, beim WG-Casting oder eben beim Dating.

Es gibt so viele Unbekannte, auf die man sich vor einem Date mit einem neuen Menschen einlässt – das Corona-Risiko sollte nicht dazu gehören. Aber will man wirklich vorher wissen, wie lange das Ganze halten wird? Natürlich nicht. Die beiden Protagonist*innen bei Black Mirror entscheiden sich, als sie nach einer schmerzvollen Trennung und einigen 36-Stunden-Matches erneut zusammengebracht werden, einfach dazu, den Countdown zu ignorieren und gar nicht erst nachzuschauen, wie viel Zeit die App ihnen diesmal gibt. Und sorry für den Spoiler, aber "Hang the DJ" ist ungefähr die einzige Black Mirror-Episode, in der es ein Happy End gibt.

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