Warum wir 2020 erst recht die Welt retten müssen

© Isabelle Rogge

2019 war für mich und viele von uns der Start in den aktiven Klimaschutz. Wir haben begriffen, dass es nicht reicht Veränderungen herbei zu wünschen. Dass es durchaus wichtig ist, das eigene Konsumverhalten stetig auf den Prüfstand zu stellen und bereit zu sein, alte Gewohnheiten zu durchbrechen. Aber vor allem, dass wir einen Systemwandel nur anstoßen können und werden, wenn wir kollektiv wirksam werden. Wenn wir gemeinsam Druck auf die Politik und Industrie ausüben. Zwei Dinge sind mir dabei besonders klar geworden. Zum einen können wir alle eine wirksame Klimapolitik fordern, selbst wenn wir (noch) nicht in allen Bereichen perfekt nachhaltig leben. Du kannst mit dem Auto zur Arbeit fahren und trotzdem oder gerade deswegen für einen besseren ÖPNV sein. Du kannst Fleisch essen und nachhaltige Mode tragen. Hauptsache du legst los. Zum anderen sind es, neben all den Artikeln, die ich hier in meinem Kämmerchen schreiben kann, am Ende die Begegnungen und Vernetzungen gewesen, die den Motor für die Weltrettung am Laufen halten und die Gemeinschaft stärken.

Fridays4Future-Streiks

© Isabelle Rogge

Bei meinem ersten Fridays4Future-Streik im März 2019 traf ich mich mit einigen Gleichgesinnten zur Kundgebung. Und obwohl wir uns teilweise nur sporadisch kannten, tanzten wir plötzlich alle gemeinsam in der Menge. Anschließend ließ ich mich mit meiner Kamera in der Menge treiben, um die Personen hinter der Bewegung einzufangen. Schüler und Schülerinnen, die mir stolz ihre Schilder zeigten und unbedingt fotografiert werden wollten. Großeltern, die für ihre Enkel*innen demonstrierten. Noch lange Zeit werde ich die kleine Schülerin in Erinnerung behalten, die sich am Brandenburger Tor bis ganz nach vorne durchboxte, nur um für wenige Minuten Greta Thunberg sprechen zu hören. Vorne angekommen traf sie auf andere Schülerinnen, die sich zwischen all den Kameras und Reporter*innen gegenseitig Platz verschafften, um besser sehen zu können und sich gegenseitig schützten. Einzelne wurden zu vielen für die gute Sache.

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Auch meinen letzten Streik 2019 kann ich nicht vergessen.  Es war der globale Klimastreik am  29. September. Von der Euphorie mit  270.000 Demonstrierenden durch die Straßen Berlins zu laufen, bis hin zu dem  ernüchternden Moment als die ersten Ergebnisse des Klimapakets der Regierung zu uns durchsickerten. An diesem Tag schien sich zu verdeutlichen: Politik und Wandel funktionieren langsam. Und auch wenn die Zeit eigentlich nicht reicht, braucht es offensichtlich einen langen Atem. Mit den kälter werdenden Tagen fiel ich, wie so viele, in einen Aktivismus-Winterschlaf und gönnte mir eine kleine Auszeit, um Kraft zu tanken für 2020.

Aktionismus versus Aktivismus

Nun ist es März 2020. Der Frühling reckt in der Ferne langsam seine Glieder, die Tage werden wärmer und  länger und plötzlich sprießen auch die Aktivist*innen wieder wie Pilze aus dem Boden. Oder sollte ich besser schreiben "Aktionist*innen wie Viren"? Der Coronavirus (SARS-CoV-2) bewegt die Gesellschaft zu so viel blindem Aktionismus wie schon lange nichts mehr.

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Eine Kollegin erzählte mir vor einer Woche, dass ihre Mutter bereits Atemmasken für die ganze Familie gekauft habe. Meine Instagram Stories zeigen leere Drogerieregale, wo einst Desinfektionsmittel stand. Und am Montagmorgen schlägt mein Smartphone bereits Alarm in einer Whatsapp-Gruppe: "Berlin meldet ersten Fall von Coronavirus". Es dauerte nicht lang bis eine andere Person mit folgender Headline kontert: "Nichts ist ansteckender als die Angst". Und ich komme nicht umhin mich zu fragen, weshalb die Angst vorm Coronavirus ansteckender und aktivierender ist, als die vorm Klimawandel.

Pfannkuchen und sauberer Hintern

Immerhin scheint es regionale Unterschiede zu geben. So berichtet meine Mama am Telefon, dass in einem Soester Supermarkt bereits Mehl und Zucker ausverkauft seien. Ich stelle mir vor wie die Soester*innen sich zu Hause einschließen und den ganzen Tag Pfannkuchen in der Pfanne wirbeln. In Berlin sorgt man sich mehr um den sauberen Hintern. Mein Freund schreibt: "War grad beim Edeka. Da sind echt alle Regale für Nudeln, Konserven und Toilettenpapier leer geräubert". Einen Supermarkt müsste man jetzt haben.

Während ich diesen Artikel schreibe, sind in Berlin 6 Corona-Infizierte festgestellt und just in diesem Moment vermeldet die Tagesschau 94.250 weltweit bestätigte COVID-19-Fälle, von denen 52.026 wieder genesen sind (mit Verweis auf die John Hopkins Universität; Stand 04.03.20 14:30 Uhr).

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Zum Vergleich: Laut WHO sterben jährlich sieben Millionen Menschen an Folgen von Luftverschmutzung. Diese Luftverschmutzung wird insbesondere durch das Verbrennen von fossilen Brennstoffen herbeigeführt und steht in engem Zusammenhang mit dem Klimawandel. CO2, Ruß und Methan sind die entscheidenden Komponenten, die zur Erderwärmung führen.

Ich will das Coronavirus auf keinen Fall verharmlosen.  Nur zeigt es uns auf, wie seltsam unsere Welt funktioniert. Wir kleben Pflaster auf aufgerissene Wunden, statt rechtzeitig vorzubeugen. Plötzlich werden Krankenhäuser in Windeseile errichtet. Politik wird im Nu handlungsfähig. Forschungsgelder fließen. Schulen werden mit einem Flügelschlag für ganze Wochen geschlossen, obwohl die freitäglichen Klimastreiks für eine generationengerechte Klimapolitik problematisiert wurden. Würden die Regierungen dieser Weltthemen wie die Klima- oder Geflüchtetenpolitik mit einer ähnlichen Dringlichkeit behandeln, wir könnten dieses 1,5 Grad-Ziel echt erreichen und etliche Menschen auf der Flucht vor Dürre und Bürgerkriegen retten.

Nun wohnt dieser Pandemie-Panik aber auch eine gewisse Komik inne. Erstens bedingt unsere Umweltzerstörung unter anderem Viren wie Corona. In der Netflix-Doku "Explained" wird in der Folge ‘Die nächste Pandemie’ deutlich: Gäbe es weniger Massentierhaltung und würden weniger Wälder gerodet, würden wir Menschen auch seltener mit diesen Viren in Verbindung kommen. Wenn wir Menschen nicht die Welt retten, dann rettet sie sich auf lange Sicht vor uns. Und trotzdem hat für uns Optimist*innen auch diese Krise wieder etwas Gutes und kann im wahrsten Sinne des Wortes ein Wendepunkt sein.

© NASA Earth Observatory

Die Nasa berichtet am 02. März zu deutsch: "Die NO2-Mengen sind mit der Coronavirus-Quarantäne, dem chinesischen Neujahrsfest und einer damit verbundenen wirtschaftlichen Verlangsamung gesunken." Der Rückgang der Luftverschmutzung ist auf den Vergleichsbildern deutlich erkennbar. Sie zeigen uns: Wandel braucht nicht immer einen langen Atem. Wir können jetzt anders leben. Wir können jetzt die Welt retten. Und um das umzusetzen, braucht es weiterhin friedliche Revolution. 270.000 Demonstrierende in Berlin, 1.4 Millionen in Deutschland, waren offenbar noch nicht genug. Darum müssen wir 2020 erst recht gemeinsam auf die Straßen. Der nächste globale Klimastreik ist am 24. April geplant. Wie stark wäre es, wenn alle Hamsterkäufer*innen mit auf die Straße gehen? Möglicherweise mit etwas Sicherheitsabstand zueinander. Bestimmt lassen sich auch hervorragende Schilder aus all den gehorteten Nudeln und Klopapier basteln. Bis dahin: Lasst uns weiter fleißig Hände mit Seife waschen, in die Armbeuge niesen, nicht ins Gesicht fassen und wenn es sein muss, auch keine Hände schütteln. Die Mundschutze und Desinfektionsmittel lassen wir denen, die sie wirklich brauchen – Feuerwehrleuten, Ärzt*innen und Pflegekräften. Und sollten wir doch noch in Quarantäne landen, dann können wir immer noch Pfannkuchen machen und über digitale Streikoptionen mit Livestream nachdenken.

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