Wer sich selbst verwirklichen will, sollte kein Kind kriegen

© Benjamin Hiller

"Cool trotz Kind" ist für alle Eltern dort draußen. Autor Clint berichtet von seinem Alltag als alleinerziehender Vater. Die Eskapaden, die er und seine Tochter Wanda* erleben, stehen im Zeichen einer großen Sehnsucht, einer Utopie: Man kann auch mit Kind ein wildes und freies Leben führen.

Kann man cool bleiben, auch wenn man ein Kind hat? Diese Frage verfolgt mich seit fünf Jahren. Denn in meinem Leben als Vater bewege ich mich zwischen Fettnäpfchen und Fallgruben. Es ist schwierig, einen klaren Blick zu bewahren, wenn übereifrige Streber nicht aufhören Zwischenfragen zu stellen, und den Elternabend damit ins Unendliche dehnen. Man muss die Arschbacken zusammenkneifen, wenn man den schlimmsten Kater seines Lebens hat und das Kind berechtigterweise trotzdem Topfschlagen spielen will. Und vor allem erfordert es einen eisernen Willen, sich auch mit Kind selbst zu verwirklichen, ob in der Kunst oder in der Liebe.

Zwischen Fettnäpfchen und Fallgruben

Arbeit, Kind, Beziehung, Schreiben. Es war in den ersten Jahren unmöglich, all diese Dinge unter einen Hut zu bringen. Irgendetwas davon musste leiden. Während der Schwangerschaft habe ich ganztags als Koch gearbeitet. Mit Wandas Geburt fing meine zweimonatige Elternzeit an. Mir wurde schnell klar, dass ich nach deren Ablauf unmöglich in einen Vollzeitjob zurückkehren kann. Ich wollte nicht zehn Stunden in einer Küche stehen und danach völlig erledigt nach Hause kommen. Zu müde, um mit meinem Kind zu spielen, zu unkonzentriert, um Wandas Mutter ein guter Partner zu sein. Um mich dann nachts am Laptop selbst zu zerfleischen, weil die sinnlose Arbeit meinen Quell der Inspiration verschüttet hat.

Die meisten Eltern verzichten in diesem Moment auf das, was im täglichen Existenzkampf am entbehrlichsten erscheint: auf ihr Hobby, ihre Passion. Für mich kam das jedoch zu keinem Zeitpunkt in Frage. Das Schreiben ist meine Identität, meine Bestimmung. Oder bin ich zu egoistisch? Mein Vater hat seinerzeit alle künstlerischen Ambitionen aufgegeben, um sich ganz meinen Brüdern und mir zu widmen. Damit hat er uns eine märchenhaft schöne Kindheit beschert. Wäre es da nicht gerechtfertigt, wenn ich mich Wanda zuliebe auch zurück nehme? Oder ist vielleicht sogar beides möglich?

Wandas Mutter war der Meinung, dass wir es versuchen sollten. Denn auch sie wollte sich weiterhin selbst verwirklichen. Ich suchte mir deshalb einen Halbtagsjob, der uns gerade so über Wasser hielt. Und stand jeden Morgen um vier Uhr auf, weil das die einzige Zeit war, in der ich in Ruhe schreiben konnte. Wenn ich abends Auftritte bei Lesungen oder Poetry Slams hatte, blieb Wandas Mutter zuhause. Im Gegenzug fing sie wieder an, als Regieassistentin zu arbeiten, wodurch ich an vielen Tagen der Alleinerziehende war.

Von den vier großen Faktoren sind nur noch Schreiben und Kind geblieben

Wir haben dieses Modell fast zwei Jahre lang durchgehalten. Dann kam die Trennung. Einer der Gründe war sicher mein vier-Uhr-Rhythmus. Der machte mich weitgehend untauglich für einen gemeinsamen Alltag und zeigte ziemlich eindeutig, dass mir meine Selbstverwirklichung wichtiger war als die Beziehung. Seitdem leben Wandas Mutter und ich im Wechselmodell.

Also, ja: Ich halte es durchaus für möglich, sich auch mit Kind selbst zu verwirklichen. Es ist nur nicht leicht. Ist es nie.

Von den vier großen Faktoren sind also nur noch Schreiben und Kind geblieben. Und an vielen Tagen ist es ein Kampf, selbst diese beiden unter einen Hut zu bringen. Aber es ist ein guter Kampf. Es ist schön, Wanda in jeden Bereich meines Lebens zu integrieren. Weil ich ihr auf diese Art zeigen kann, wer ich bin. Natürlich ist es für sie reichlich abstrakt, wenn ich ihr sage, dass ich einen neuen Roman schreibe. Aber sie weiß immerhin, wofür ich es tue: Damit wir von der Gage in den Urlaub fahren können. Sie unterstützt mich deshalb, wo sie kann.

„Papa, bist das du in der Zeitung?“, fragt sie neulich, als sie einen Tagesspiegel in die Finger kriegt.

„Ja, ich schreib doch immer Kolumnen für die.“

„Und warum hast du auf dem Bild mein Einhorn im Arm?“

„Damit die Leute mich ernst nehmen.“

„Okay. Wenn du willst, darfst du auch meine anderen Kuscheltiere haben.“

Also, ja: Ich halte es durchaus für möglich, sich auch mit Kind selbst zu verwirklichen. Es ist nur nicht leicht. Ist es nie. Der Alltag hält schon genug Scherereien für uns bereit. Das Finanzamt schickt seine Neujahrsgrüße. Die BVG überrascht uns mit Streckensperrungen und erhöht gleichzeitig das AB-Tagesticket von sieben Euro auf 8,60 Euro. Es ist zum Knochenkotzen, aber mit Galle schreibt es sich schlecht. Letzten Endes geht es doch darum, ein Vorbild zu sein. Seinem Kind zu zeigen, dass man alles schaffen kann. Gemeinsam, against all odds.

*Anmerkung: Der Name meiner Tochter wurde geändert.

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