Ich bringe meine Tochter in die Schule, bis sie 18 Jahre alt ist

© Benjamin Hiller

"Cool trotz Kind" ist für alle Eltern dort draußen. Autor Clint berichtet von seinem Alltag als alleinerziehender Vater. Die Eskapaden, die er und seine Tochter Wanda* erleben, stehen im Zeichen einer großen Sehnsucht, einer Utopie: Man kann auch mit Kind ein wildes und freies Leben führen.

Es ist eine Frage, die sich eigentlich jeden Tag stellt: Wie schaffe ich es, dass meiner Tochter nichts zustößt in der großen, weiten Welt, ohne ihr mit meinen Warnungen allzu viel Angst einzujagen? Das geht schon im Kleinen los. Zum Beispiel am S-Bahnhof. Da sage ich ihr, dass sie nicht so nah ans Gleis gehen soll. Und begründe das damit, dass die Leute oft unaufmerksam sind. Weil sie die ganze Zeit auf ihr Smartphone glotzen und nicht wahrnehmen, was um sie herum passiert. Ich muss ja nicht gleich den Teufel an die Wand malen, und von irgendwelchen Irren erzählen, die sie absichtlich vor den Zug schubsen wollen.

Es geht mir schließlich nicht darum, in jeder Situation vom Schlimmsten auszugehen. Ich will einfach erreichen, dass Wanda* eine gesunde, grundlegende Wachsamkeit entwickelt.

Auch im Zug kann ich es nicht sehen, wenn sie während der Fahrt an den Türen herumfummelt. Sich mit dem ganzen Gewicht ihres Körpers dagegen lehnt und auf den Knopf drückt. Natürlich sollten die sich nicht öffnen dürfen. Aber mich beunruhigt ein allzu blindes Vertrauen in die Technik. Wenn es dann doch mal einen Defekt gibt, hat man den Salat. Sind diese Bedenken noch im Rahmen? Oder bin ich schon paranoid?

Es geht mir schließlich nicht darum, in jeder Situation vom Schlimmsten auszugehen. Ich will einfach erreichen, dass Wanda* eine gesunde, grundlegende Wachsamkeit entwickelt. Das Wichtigste am Umgang mit einer Verkehrsampel sind nicht die Farben der Signallichter, sondern die Sachlage auf der Straße. Kommt ein Auto, oder kommt kein Auto?

Zwischen Verantwortung und Paranoia: Wie viel Vorsicht ist eigentlich normal?

Natürlich kann man es nicht vermeiden, ein bisschen Angst zu erzeugen. So beim leidigen Thema: Geh nicht mit Fremden mit. Wanda lebt in einer vollständig behüteten Zauberwelt. Sie hat keine Ahnung von dem Grauen, das Menschen anrichten können. Ich sage ihr deshalb, dass es Leute gibt, die sie gern einsperren wollen. Weil die böse sind. Dieser Notbehelf kotzt mich zwar an, aber ich sehe keine andere Möglichkeit.

Das Merkwürdigste bei all der Vorsicht ist jedoch, dass man die Verantwortung bei so vielen Gelegenheiten einfach abgibt. Ich sage nur Kita. Natürlich vertraue ich den Erzieherinnen. Und sehe die Notwendigkeit, möglichst früh einen Teil der Kontrolle abzugeben. In meinem Alltag würde es auch gar nicht gehen, dass ich Wanda ununterbrochen bei mir behalte. Und trotzdem kommt es mir manchmal verrückt vor, dass ich das Wertvollste in meinem Leben einfach so weggebe.

Das wurde mir vor allem neulich bewusst, als ich durch Zufall in der Nähe der Kita zu tun hatte. Zu einer Zeit, als Wanda mit ihrer Gruppe gerade auf dem Spielplatz war. Ich wollte mal nachschauen, bin dabei außer Sichtweite geblieben, um nicht zu irritieren. Und wie ich sie da so gesehen habe, in ihrem vermeintlichen Bewusstsein, dass weder ich noch ihre Mutter in der Nähe sind, dieser kleine Mensch im riesigen, gnadenlosen Kosmos, wollte ich mir am liebsten das Herz rausreißen.

Natürlich vertraue ich den Erzieherinnen. Trotzdem kommt es mir manchmal verrückt vor, dass ich das Wertvollste in meinem Leben einfach so weggebe.

Das Gleiche ein paar Tage später. Da fahre ich mit Wanda nach Pankow und liefere sie für einen Kindergeburtstag im Park ab. Wir kennen die verantwortlichen Eltern schon lange, Wanda hat bereits etliche Male bei ihnen übernachtet. Und trotzdem komme ich schwer klar damit, sie einfach abzuliefern und allein nach Hause zu fahren. Es bleibt so ein Phantomschmerz-Gefühl. Als hätte ich meinen Geldbeutel in der U-Bahn liegen lassen.

Wie soll das alles in Zukunft werden? Schon jetzt fängt Wanda mit solchen Späßen wie einem Schwimmkurs an, bei dem wir sie an der Garderobe in die Obhut der Trainerin geben müssen. Und dann kommt die Schule. Jeden Tag Bus und Bahn und, Gott behüte, Fahrradfahren. Ich befürchte fast, dass ich sie bis vor die Tür bringen werde, bis sie 18 Jahre ist. Vielleicht sogar länger. Ich werde langsam wie meine Mutter. Da bin ich zwar schon vor zwanzig Jahren ausgezogen. Aber wenn ich dann doch mal zu Besuch bin, kann sie nachts erst ruhig schlafen, wenn sie gehört hat, dass ich nach Hause gekommen bin.

Ich befürchte fast, dass ich sie bis vor die Tür bringen werde, bis sie 18 Jahre alt ist. Vielleicht sogar länger. Ich werde langsam wie meine Mutter. Da bin ich zwar schon vor zwanzig Jahren ausgezogen. Aber wenn ich dann doch mal zu Besuch bin, kann sie nachts erst ruhig schlafen, wenn sie gehört hat, dass ich nach Hause gekommen bin.

*Anmerkung: Der Name meiner Tochter wurde geändert.

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