"Tinder Stories": Dieses Buch nimmt euch mit auf eine wilde Reise durch die Berliner Datingwelt

© Michael Ramey | Unsplash

Berlin ist die Hochburg der Singles. Die Stadt der einsamen Herzen. Das Mekka für ungezwungene Liebe, bedeutungslosen Sex. Und mitten in diesem Dschungel aus Singles, Dating-Apps und schnellem Sex befindet sich Luise, die aus Hamburg nach Berlin gezogen ist.

Marie Luise Ritter ist 28 Jahre alt, Single – und will das auch bleiben – und trotzdem auf der Suche nach ungezwungenen Begegnungen. In ihrem ersten Buch "Tinder Stories: Ein Jahr voller Dates" erzählt Luise von ihrem Leben als Single in der Großstadt, von Tinder-Dates, spontanen Begegnungen im Club, überraschendem Verknalltsein und der immer wiederkehrenden Frage, was man bzw. sie eigentlich von diesen Dating-Apps wie Tinder will und ob man von ihnen überhaupt etwas wollen sollte. Das Buch ist eine verspätete Coming-of-Age-Geschichte, eine Liebeserklärung an die Liebe und eine spannende Reise durch die Großstadt.

Damit ihr schon mal einen kleinen Eindruck von Luises Abenteuern bekommt, könnt ihr hier exklusiv eines der Kapitel lesen:

Auszug aus "Tinder Stories: Ein Jahr voller Dates"

Nick

»Puh, das is mir ja echt 'n bisschen zu viel Berlin«, schnaubt der Mitbewohner, als ich ihn zu seiner Meinung zu meinen neuen Docs befrage. Wir haben uns nach leichten Startschwierigkeiten inzwischen gut miteinander arrangiert, gehen zusammen feiern oder helfen uns mit den Einkäufen aus. Ich behalte die Schuhe trotzdem, sie sitzen wie angegossen am Fuß und sind so bequem, dass ich mir nicht mehr vorstellen kann, jemals wieder ohne diese Boots feiern zu gehen. Schwarz mit silbernen Glitzerflammen. Dazu ziehe ich eine zerrissene, enge Jeans an und ein bauchfreies, schwarzes T-Shirt und taumele so ins Süß, meinem neuen Lieblingsclub.

Eigentlich sind Clubs wie Bücher. Man betritt sie, wenn man Zerstreuung sucht. Dem Alltag entfliehen will. Zwischen Abenteuer, Vernunft und Trance. Neue Geschichten schreiben und kennenlernen will. Ich lese mindestens genauso gerne, wie ich durch die Nacht tanze. Alles ist dann in Bewegung, alles dreht sich, alles inspiriert. Bis es plötzlich sechs Uhr morgens ist und man raus- taumelt, aus diesem völlig anderen Leben, das einem so viel nimmt und gleichzeitig so viel Neues mitgibt, dass sich in nur einer einzigen Nacht alles ändern kann. Bisher kenne ich kaum was im Nachtleben von Berlin, aber das Süß mag ich so gerne, dass ich dort die meisten Abende lande.

Gerade mal fünf Minuten bin ich dort, als ich ihn sehe und aus meinen Tinder-Matches wiedererkenne. Quer durch den Raum und schummriges Licht, dunkle Locken und ganz dunkle braune Augen. Nick. Wir hatten vor ein paar Tagen geschrieben, aber uns noch nicht verabredet, ein bisschen Small Talk, der wieder verebbt war. Durch den Club hinweg visiere ich ihn an, er starrt zurück, aber schaut eher ins Leere. Ich merke, dass er mich nicht einfach so erkennt. »Hi Tinder-Match«, spreche ich ihn an, als ich mir einen Weg durch die Menge zur Bar gebahnt habe. »Witzig, dich hier so zu sehen.« Er ein paar Zentimeter größer als ich, nicht bedeutend viel. Mir ist eigentlich egal, wie groß ein Mann ist, ich bin selten kleiner als die Männer, die ich treffe, oft gleich groß oder gar größer, weil ich gerne hohe Stiefel trage. Ich finde das gut. Er lacht, als er mich auch erkennt. »Luise«, werfe ich ein, weil ich nicht genau weiß, ob er meinen Namen weiß, weil ich auch gar nicht davon ausgehe, dass er sich jeden Namen merkt. Generell gehe ich nie davon aus, dass sich jemand an mich erinnert oder mich im Kopf behält. Eigentlich nicht gerade die richtige Einstellung. »Hey, das weiß ich«, verteidigt er sich aber direkt. Sein strahlendes Lachen ist ansteckend. Die braunen Locken fallen ihm über die Stirn ins Gesicht. Nick trägt ein einfaches schwarzes T-Shirt zu hellen Jeans. Er ist noch viel attraktiver als auf seinen Tinder-Fotos. »Luise, 27, neu in Berlin, 1,80 groß. Ja, das stimmt.« Er tut so, als würde er mich mit einem imaginären Maßband vermessen. »Hab ich mir alles gemerkt. Aber ich hab auch nicht so viele Matches, acht oder zehn vielleicht.« Ich fühle mich ertappt ob der 139, die da über meinem Postfach prangt. Ich habe keine genauere Politik beim Swipen, schaue einfach nur nach Ausstrahlung, nach Augen, nach Charisma und sonst nicht viel, und wische lieber einmal mehr nach rechts als einmal zu wenig, völlig unabhängig vom Aussehen oder ob das, was ich sehe, meinem optischen Typ entspricht.

Nick scheint da wählerischer zu sein. Sich mehr Zeit zu lassen und auch Gespräche aufzulösen, wenn sie nicht anliefen. »Dann kann ich ja froh sein, dass ich dein strenges Tinder-Bootcamp überlebt habe«, lache ich und bestelle uns zwei Bier. Er ist wirklich nett, hat unfassbares Charisma, sein Lächeln und seine Augen, die ganz klein, aber fröhlich in ihren Höhlen liegen, hauen mich um. Nick hat diese verwegene, unbeteiligte Ausstrahlung, diese völlig unarrogante Selbstsicherheit, die nicht viele Männer haben. Alles in mir kribbelt seit der Sekunde, in der ich ihn an der Bar gesehen habe. Wir reden ungefähr drei Stunden durch, meine Freundin Maja kommt von einem anderen Flirtgespräch wieder zu mir zurück, und wir bewegen uns durch diesen Club wie alte Freunde, kleben zu dritt zusammen, versorgen uns mit Drinks und Storys und amüsieren uns über gegenseitig gestellte »Wenn ich du wäre«-Aufgaben.

»Wenn ich du wäre, würde ich zwanzig Squats hier auf der Tanzfläche machen.« »Wenn ich du wäre, würde ich den Typen da fragen, ob er Florian Silbereisen ist.« »Wenn ich du wäre, würde ich jetzt eine Polonaise starten.« »Wenn ich du wäre, würde ich den Barkeeper überreden, uns eine Runde Berliner Luft aufs Haus zu spendieren.«

Lachend erfüllen wir alle unsere Einsätze, tanzen durch den Club und haben so einen Abend, wie ich ihn gerade einfach nur brauchte. Immer wieder gehe ich in die Toilettenräume des Clubs, um meine leeren Gin-Tonic-Gläser mit Leitungswasser aufzufüllen, brauche Wassernachschub, um diesen Abend nicht an eine verschwommene Erinnerung am nächsten Morgen zu verlieren, die jegliche Gefühle abtötet, dafür ist der Abend zu gut. Dazwischen No Angels und Roxette, Billy Talent und Jan Delay. Zwischen Nick und mir ist so eine Anziehung, so eine besondere, dass mir klar ist, dass ich ihn richtig daten und kennenlernen will. Ihn direkt mit nach Hause zu nehmen, kommt für mich nicht infrage. Konnte man sich innerhalb nur eines Abends in jemanden verknallen? Ich konnte es selbst nicht ganz glauben und beschloss, mich abzulenken mit jemand anderes, sicherheitshalber. Ich wollte mich nicht verknallen. Ich wollte niemanden zu gut finden. Körperlich okay, aber bitte nicht emotional. Die nächsten Stunden laufen ab wie im Film, so als könnte ich meine nächsten Schritte gar nicht so richtig selbst kontrollieren, ich handle wie ferngesteuert. Nick wirft so unbedarft mit Komplimenten und schönen Worten um sich, als würde er Brot an der Bäckereitheke bestellen. Für ihn ist das hier so normal. Es ist irgendwann nachts in Friedrichshain, und ich bin mit den letzten Stunden völlig überfordert.

Meine letzte »Wenn ich du wäre«-Aufgabe, nämlich jemandem zu sagen, dass ich ihn mit nach Hause nehme, jemanden abschleppen quasi, erfülle ich dann bei Luca. Natürlich hätte ich auch Nein zu dieser letzten Aufgabe sagen können. Und Maja hatte eher Nick im Auge, als sie mir ›Wenn ich du wäre, würde ich ihn jetzt mit zu dir nehmen‹ unter ihren langen Wimpern und mit tiefem Blick zuraunt. Aber ich bin abgelenkt von meinen eigenen Gefühlen. Also wende ich mich Luca zu. Ihn hatte ich schon oft hier gesehen, wir kennen uns über flüchtige Blicke im Club. Ich hatte schon vor drei Wochen ein Auge auf ihn geworfen, seit er unten in den Trash-Raum gestiefelt war und sich mir gegenüber auf dem Podest platzierte. Er war so ein Quarterback-Typ, dunkelhaarig und groß, so einer, der mit einer Schar Freunden um sich unterwegs ist. Ich murmelte im selben Moment, als ich ihn sah, zu Maja neben mir: »Den da, den will ich.« Wir tauschten ein paar Blicke, verloren und fanden uns die nächsten Stunden im Club immer wieder, bis wir irgendwann kurz ins Gespräch kamen. Maja hatte den »Kennst du schon Luise?«-Move gemacht, er war nicht gerade interessiert, tadelte uns für diesen wirklich schlechten Anmachspruch und gab mir quasi einen Korb. Doch in den nächsten Stunden sieht er immer wieder zu mir rüber, bringt mir Drinks und hält mir sein Handy hin, damit ich meine Nummer einspeichere. Was ich wieder einmal tat, aus Reflex. Das war jetzt ein paar Monate her, wir sahen uns noch ab und an, flirteten hin und wieder. Ich wusste schon, was er beruflich machte, Unternehmensberatung, er wusste, dass ich schreibe. Ich wusste, wo er wohnte, Charlottenburg, er, woher ich war, Prenzlauer Berg. Auch heute war er wieder hier. Es ist drei Wochen später, und in meiner Verwirrung um Nick kommt mir ein kurzes Gespräch mit Luca im engen Zwischengang zwischen Bar und Techno-Raum gerade recht. Gegen vier Uhr gehe ich zu ihm hin, ziehe ihn an seinem weißen Pullover zu mir herunter und sage ihm, dass ich ihn mit nach Hause nehme. Dabei denke ich stechend, fast blitzartig, an Nick.

Ich wische meine zweifelnden Gedanken weg. Die, dass ich mich gerade extrem unlogisch verhalte. Die, dass ich einfach mit Nick Nummern tauschen und alleine nach Hause gehen sollte. Die, dass es okay ist, sich zu verknallen und man sich nicht mit dem Nächstbesten ablenken muss. Wie sollten meine Freundinnen so einen Move verstehen, den ich selbst nicht verstand. Luca blinzelt mich kurz verwundert an, zieht mich dann raus zur Garderobe und schreit siegessicher: »Ok, ich hole unsere Jacken!« Er reißt mich mit sich, ist einen Kopf größer als ich, hat mir den Arm fest umgelegt, und es scheint nicht, als hätte er je vor, ihn wieder von meiner Schulter zu entfernen.

Wow, das war einfach. Ich kann mich nicht erinnern, jemals einen Mann im Club angesprochen zu haben, geschweige denn jemals jemanden so proaktiv angebaggert zu haben, und verabschiede mich mit einem Winken von Maja, während ich von Luca schon zum Ausgang geschoben werde. Meistens läuft es darauf hinaus, dass ich angesprochen werde und dann abwäge, mich entweder aus dem Gespräch entferne oder ein nettes Gespräch habe. Aber ich habe mir noch nie einfach so das genommen, was ich will. Und während mich Luca an seiner Hand aus dem Club raus und ins nächste Taxi zieht, gefällt mir dieses »sich einfach nehmen, worauf man Lust hat« ziemlich, ziemlich gut. Auch wenn ich gar nicht weiß, ob ich hierauf gerade Lust habe.

Wir liegen in meinem Bett. Bewegen uns schnöde aneinander vorbei, es ist kalt und flüchtig. Er ist zu betrunken, und irgendwann geben wir auf. Nach zwei wachen Stunden in seiner klammern- den, schnarchenden und viel zu warmen Umarmung, in denen ich jeden Zentimeter meiner Zimmerdecke inspiziere, befreie ich mich und sage ihm, dass ich losmuss, weil ich mich nicht einfach so traue, ihn zum Gehen aufzufordern. Er ist nett und betrunken und will zurecht einfach kurz ausschlafen und würde sich dann aus dem Staub machen. Kein Grund eigentlich, ihn nicht schlafen zu lassen. Aber das Adrenalin pumpt durch meine Adern, und ich kriege einfach kein Auge zu. Und natürlich denke ich an Nick. Immer wieder stupse ich ihn an, aber er schläft einen dieser komatösen Schlafe, der sich, einmal angefangen, nicht so leicht unterbrechen lässt. Seinen Alkoholgeruch dünstet er dabei in meinem Bett aus. Ich flüchte raus. In den letzten zwei schlaflosen Stunden hat es die Straßen komplett eingeschneit, der Hund und ich sind die ersten, die unsere Abdrücke auf dieser neuen Welt hinterlassen dürfen.

Als er endlich aufwacht, hake ich nach, wie alt er nun wirklich ist. Verschmitzt grinst er, drückt sein Gesicht in mein Kissen und murmelt: »Zweiundzwanzig.« Im Tageslicht sehe ich dann, dass sein Hoodie rosa, nicht weiß ist, auf einmal sieht er so jung und unschuldig aus, mit seinem Schal in Regenbogenfarben, den hohen weißen Nike-Socken, den ausgelatschten Sneakern. Er wirkt im erbarmungslosen Morgenlicht wie ein schutzbedürftiger Welpe, den man umsorgen muss. Stattdessen bringe ich ihn zur Tram, umarme ihn fest und schubse ihn zwischen die sich schließenden gelben Türen. Es ist acht Uhr achtunddreißig, und ich bin nicht sicher, ob die Menschen in der Tram noch oder schon wach sind. An einem Samstagmorgen im Februar in der Morgen- dämmerung kann das beides der Fall sein. Irgendetwas fasziniert mich an dieser Mysteriösität des Einzelnen. Kaum bist du im Club, geht draußen schon der Nebel auf, der irgendwann mal wieder Sonne sein wird.

Ich weiß nicht, wohin mit mir, und beschließe, einfach loszugehen, einfach eine Weile zu gehen. Es sind sieben Grad. Eine Weile später sitze ich am Südstern vorm Späti und frühstücke ein nacktes Croissant und einen Filterkaffee, bevor ich mit Maja drei Stunden lang über Flohmärkte in Kreuzberg ziehe und erst sechzehn Uhr an diesem Tag das erste Mal wirklich schlafen gehe.

Als ich abends aufwache, habe ich eine Nachricht von Nick in der Tinder App. »Hey, schade dass du gestern plötzlich weg warst. Das war ein wirklich schöner Abend mit dir.« Kurz entschlossen schicke ich ihm meine Nummer. »Fand ich auch. Wollen wir morgen Abend etwas essen gehen? Ich würde dich gerne wiedersehen«, tippe ich dazu mit allen Kräften, die ich zusammensammeln kann, dann schlafe ich wieder ein.

Ihr wollt wissen, wie es mit Nick weitergeht? Oder Luca? Dann solltet ihr fix in den Buchladen eures Vertrauens hüpfen und euch Luises Buch zulegen. Viel Spaß beim Lesen.

© Marie Luise Ritter | © Piper Verlag

Marie Luise Ritter | Tinder-Stories: Ein Jahr voller Dates | erschienen im Piper Verlag | 240 Seiten | 12.99 Euro |Mehr Info

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