Eine Liebeserklärung an die alten Berliner U-Bahnen

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Die Berliner Verkehrsbetriebe haben vor, bis 2033 die U-Bahnen komplett zu erneuern. Schon in zwei Jahren werden die ersten Prototypen angeliefert, im darauf folgenden kommen 76 weitere Wagen und dann immer mehr dazu. Der Wandel ist also absehbar und unvermeidbar. Und so sehr ich auch oft genug die Nase beim muffigen Waggongeruch rümpfe oder die Augen bei Türstörungen verdrehe – die Oldtimer-Bahnen werden mir fehlen.

Wie oft hat mir ihre ocker- bis sonnengelbe Erscheinung schon als Fotomotiv gedient. Entweder als knallig-leuchtender Hintergrund oder als Fokuspunkt, der irgendwie jederzeit Sehnsucht erwecken kann. Stimmt schon, es sind nur ein paar Waggons, die durch Berlins Untergrund tuckeln, aber trotzdem versprechen sie Fahrten mit einem Hang zum Abenteuer. Mit Pony im Abteil? Geht klar. Klaas Heufer-Umlauf oder direkt Bono von U2 neben dir sitzend? Na wo auch sonst! Alle ohne Hose, dicht gedrängt in die U5 am Alex? Juckt keinen. Die Musterungen der Sitzbezüge unterstreichen nur zu gut das Dschungel-Feeling. Kein Wunder, dass die gedeckte Farbkombination aus Rot-Blau-Schwarz-Weiß mittlerweile genauso auf Kleidung wie als Handyhülle Verwendung findet. Denn das Kunderbunte ist fest verknüpft mit unseren Erinnerungen. Mit einem ersten interessierten Blickkontakt. Mit Freundschaften, die um zwei Uhr nachts genau hier geschlossen wurden. Mit der Heimfahrt nach der letzten Feier, bei der uns dieser Mischmasch auf der Polsterung erst total verwirrt hat (Bin ich gerade in einer Folge von „Stranger Things“ gelandet oder was bewegt sich hier??) und dann nur beruhigt und geerdet hat. Wenn man nur lang darauf schaut, macht schließlich doch alles mehr Sinn als vorher.

Gerade die Holzoptik in manchen Wägen verströmt stets so eine Heimeligkeit wie bei Oma und Opa zu Hause. Und dass wir dem Retrocharme völlig erlegen sind, spiegeln spätestens unsere liebsten Instagram-Filter wieder. Ach und sowieso, dieses gelbe Fahrzeug auf den Gleisen peppt jeden grauen Berlin-Tag auf. Entweder auf Fotos, wo sich beispielsweise die U2 nahe Eberswalder Straße dramatisch aus dem tiefsten Wolkengewirr hervorzuschlängeln scheint oder offline, ganz echt und einfach so. Tatsächlich schafft es die Bahn trotz so mancher Verspätung uns mehr aufzufangen, anstatt uns hängenzulassen. Ich sage nur: Klappstuhl. Dieser eine Sitz, der direkt an der Tür ist, weit weg von allen anderen Sitzgelegenheiten. Das Teil, welches schon beim Herunterschieben dazu einlädt, für einen kurzen Moment in der Metropole allein und für sich zu sein. Es mal nicht klebend miteinander im öffentlichen Raum aushalten zu müssen. Das ist doch zu jeder Zeit die kleine Ruheoase, die man so schätzt wie den Moment, in dem man als allererste Person an der frisch geöffneten zweiten Kasse bei Rewe ist.

Wenn es neue U-Bahnen geben wird, die gut ausgeleuchtet und breiter gebaut sind, geht auch dieses Bar-Gefühl flöten, welches gerade eben durch das gedimmte Licht und die beständige Enge entsteht. Da darf es auch immer ein bisschen dreckiger als sonst irgendwo sein, das gehört nämlich zum Charisma. Liebe alte U-Bahn, in meinem Herz wirst du für immer sein!

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