Sind Politiker auch Menschen? – Im Parlament mit der SPD-Abgeordneten Dr. Maja Lasic
„Weißt du“, sagt Maja. „Es gibt Berufe, da kann man sich einfach gut fühlen. Als ich die Schüler in der Hauptschule am Brunnenplatz unterstützt habe, wusste ich, dass ich auf der richtigen Seite stehe. Aber das reicht nicht.“ Sie lässt ihren Blick durch das Kasino des Abgeordnetenhauses schweifen.
„Wenn ich nur auf meinem Idealismus beharren würde, wäre ich nicht effizient. Dann könnte ich mich zwar gut fühlen, aber bewirken würde ich kaum etwas.“
Ich habe Maja im September schon einmal für „Das Leben der Anderen“ begleitet. Sie flüchtete mit vierzehn vor dem Jugoslawien-Krieg nach Deutschland, machte ihr Abitur, danach einen Doktor in Biochemie. Statt eine lukrative Laufbahn in der Pharmaindustrie einzuschlagen, trat sie mit dreißig der SPD bei. Seitdem engagierte sie sich für Integration und bessere Bildung, ließ sich dann 2016 in ihrem Weddinger Wahlkreis als Direktkandidatin fürs Abgeordnetenhaus aufstellen. Und wurde gewählt.
Ich gestehe es offen: Sie war mir sympathisch. Man hat gemerkt, dass sie Quereinsteigerin ist und nicht schon seit ihrer Jugend im Parteiapparat herumdümpelt. Sie hatte eine Vision und schien sich nicht allzu sehr um Konventionen zu scheren.
Aber was macht die Politik mit so einem Menschen? Ich denke mir immer, dass man in diesem Beruf verzweifeln muss. Dass man früher oder später Opportunist oder Zyniker wird. Nach einem halben Jahr nehme ich Maja deshalb nochmal unter die Lupe. Wie ist das Leben als Parlamentarierin? Hat sie noch Zeit für ihre Familie? Und ist ihr Idealismus ungetrübt?
Als Politiker muss man doch irgendwann Opportunist werden. Oder Zyniker.
Wir treffen uns abends vor dem Dathe-Gymnasium in Friedrichshain. Maja ist inzwischen die bildungspolitische Sprecherin ihrer Fraktion und nimmt an einer Podiumsdiskussion von „Bildet Berlin“ teil, einer Initiative für mehr Schulqualität.
„Wie bist du zur Sprecherin geworden?“, frag ich.
„Ich wurde gewählt. War strategisch vielleicht nicht die klügste Entscheidung.“
„Warum?“
„Ich stehe an vorderster Front. Gerade beim Thema Bildung ist das schwierig, da kriegt man immer auf's Dach. Aber ich will ja für die Schulen was bewegen.“
„Klingt doch gut.“
„Naja. In der Politik wird der Erfolg vor allem an einem Maßstab gemessen: Und zwar, ob man wieder gewählt wird. Dafür bedient man seinen Wahlkreis und macht die Arbeit im Parlament. Als Sprecherin tingele ich durch die ganze Stadt, muss jeden Termin wahrnehmen. Aber für meine Wiederwahl ist das irrelevant. Deshalb ist gerade dieser Sprecher-Job für viele nicht attraktiv.“
Die Stimmung in der Aula des Gymnasiums ist aufgeheizt. Unzufriedene Lehrer, unzufriedene Schüler. Maja, sowie die Sprecherinnen von Grünen und Linken werden ziemlich hart ran genommen. Gut möglich, dass die Leute hier zurecht unzufrieden sind. Trotzdem wirkt das Ganze auf mich wie eine Farce. Denn wer sich besonders darin hervor tut, die Menge aufzuheizen, ist die CDU-Sprecherin als Vertretung der Opposition. Ich meine, waren die bis vor Kurzem nicht selbst am Drücker?
„Ich wäre eine grottenschlechte Oppositionspolitikerin“, sagt Maja dazu. „Dauernd auf die Regierung drauf hauen, nur um des Draufhauens willen. Klar kann man immer den Untergang prophezeien, wenn es um Bildung geht. Aber davon wird auch nichts besser.“
Ich frage, wie es ist, für die Fehler der letzten Regierung verantwortlich gemacht zu werden.
„Emotional ist das sehr hart“, sagt sie. „Ich bin ja noch nicht mal 100 Tage im Amt. Aber wenn ich da oben sitze, spielt das keine Rolle. Dann steh ich für meine Partei und muss da auch durch.“
„Ich könnte das nicht.“
„Naja“, sagt sie und lacht. „Ich hab dich extra zu diesem Termin eingeladen, damit du mal siehst, was so abgeht. Die Kraft dafür schöpfe ich aus anderen Sachen. Zum Beispiel hab ich letzte Woche eine Rede gegen einen AfD-Antrag vor dem Plenum gehalten. Die wollten, dass im Islamunterricht gewalttätige Koran-Stellen geschwärzt werden. Da konnte ich mal polemisch werden. Und ich hab auch meinen ersten eigenen Antrag eingereicht. Das ist schon toll.“
Ich wäre eine grottenschlechte Oppositionspolitikerin.
Wir gehen Richtung Warschauer Brücke, um Schluss für heute zu machen. Ich will wissen, ob ihre rot lackierten Fingernägel ein politisches Statement sind.
„Ach, Quatsch!“, lacht sie. „Aber ich merk gerade, dass die gar nicht zu meinem Blazer passen. Du hast schon recht. Im Wahlkampf ist mir das mal passiert, dass ich aus Versehen ein grünes Oberteil an hatte. Da wollten alle wissen, warum. Seitdem achte ich schon drauf, entweder was neutrales oder was rotes anzuziehen.“
„Und warum fährst du mit den Öffentlichen? Passt das besser zum image?“
„Nein, mach ich schon immer. Ich hab gar kein Auto.“
Seit dem ersten Porträt bin ich mit Maja auf Facebook befreundet. Sie liked bisweilen meine Artikel, unter anderem die Reportage, in der ich mit dem Koksdealer auf Tour bin.
„Kriegst du da keinen Ärger?“, frag ich.
„Wieso? Ist doch lustig. Wär mir auch egal. Ich hab nur einmal so eine blöde Diät-Seite geliked. Low-carb, sowas in der Art. Da wurde ich von ein paar Leuten aus der Partei angesprochen. Das schreibst du jetzt aber nicht, oder?“
„Nein, nein.“
Am nächsten Tag sind wir zum Plenum im Abgeordnetenhaus verabredet. Nachdem ich durch die Sicherheitsschleuse bin, holt mich Majas wissenschaftlicher Mitarbeiter Kosmas im Foyer ab und nimmt mich mit in ihr Büro. Dazu müssen wir bis hoch unters Dach fahren. Wie in einem Taubenschlag drängen sich hier die Zimmerchen. Ich will wissen, ob Maja in dieser winzigen Dachkammer arbeitet.
„Nein, sie sucht sich gerade ein Wahlkreis-Büro. Fast alle Abgeordneten machen das so. Die kommen nur zu den Plena und Ausschüssen hierher.“
Ich setze mich auf die Besuchertribüne im Plenarsaal und verfolge eine Weile die Debatten. Es geht um mobile Polizeiwachen am Kotti, den BER und die Schließung von Tegel. Eigentlich lustig, wie die sich da unten fetzen. Nach einer Weile schreibt Kosmas mir eine SMS, dass Maja sich jetzt mit mir im Kasino treffen kann.
„Musst du die ganzen neun Stunden da drin sitzen?“, frag ich.
„Ich muss nicht, aber es ist schon sinnvoll. Und wir können ja jederzeit raus gehen. Essen und trinken dürfen wir drin nämlich nicht.“
„Und was machst du die ganze Zeit?“
„Zuhören. Manchmal nehme ich mir auch ein bisschen Schreibarbeit mit. Oder bespreche was mit den Kollegen. Aber ich wachse auch erst noch rein.“
„Wie gehst du denn im Alltag mit den Leuten aus der Opposition um?“, frag ich und meine damit speziell AfD und FDP.
„Man läuft sich hier weniger über den Weg, als ich dachte. Ich sag zu jedem Hallo, dem ich im Fahrstuhl begegne. Aber bei manchen war's das dann auch.“
Winzige Büros, komische Kollegen und kaum Zeit für die Familie
Maja hat mir schon während des Wahlkampfes erzählt, wie schwer es ist, Familie und Job unter einen Hut zu bringen. Ich frage, ob die Lage inzwischen entspannter geworden ist.
„Überhaupt nicht.“
„Und wird sich das in den nächsten fünf Jahren ändern?“
Sie schüttelt den Kopf. „Das will mein Mann bestimmt nicht hören. Es ist auch nicht leicht. Ich hole meinen Sohn zwar an mehreren Tagen die Woche von der Kita ab, muss aber dann fast immer abends nochmal aus dem Haus. Oft bin ich mit dem Kopf schon beim nächsten Termin. Wenigstens sagt er mir immer, wenn es ihm zuviel wird, und er mich braucht. Das hilft mir, mich wieder zu fokussieren.“
„Klingt trotzdem hart.“
„Ich muss einfach von Woche zu Woche schauen, was machbar ist. Zum Beispiel hab ich heute einen Abendtermin abgesagt. Das ist eigentlich blöd, weil die eventuell dann eine Mehrheit an mir vorbei entscheiden. Aber ich konnte jetzt drei Abende hintereinander meinen Sohn nicht ins Bett bringen. Das reicht, da muss ich eine Grenze ziehen.“
„Und ist es schwer, den Job und das Privatleben zu trennen?“, frag ich.
„Ich glaube, das fällt mir leichter als anderen. Du musst sehen, man sitzt fast jeden Abend zusammen um irgendwas abzustimmen. Die Atmosphäre dabei ist immer nett. Halbprivat. Da bildet sich schnell eine soziale Blase. Aber ich kann das trennen. Ich versteh mich total gut mit allen, aber ich bin mit niemandem aus der Partei privat befreundet.“
Klar hat der Beruf mich verändert. Ich bin härter geworden.
Zu guter Letzt frage ich, ob sie die Gefahr sieht, verheizt zu werden. Oder eines Tages zur Opportunistin zu mutieren.
„Ach, weißt du“, sagt sie. „Ich hab schon so viele Kämpfe ausgefochten, um dorthin zu kommen, wo ich jetzt bin. Klar hat der Beruf mich verändert. Ich bin härter geworden. In der Abwägung, wie ich mit Menschen umgehe. Aber ich kann meine Motivation halten, indem ich mir viele kleine Ziele stecke.“
„Zum Beispiel?“
„Zum Beispiel hab ich im Wedding ein paar Mietern geholfen, ihre Angelegenheiten gegen die GESOBAU durchzusetzen. Aber wir haben als Regierung seit der Wahl auch schon große Dinge auf den Weg gebracht. Neue Grundschullehrer verdienen ab dem Herbst genauso viel wie andere Lehrer. Das war lange Zeit ein Problem. Aber das kommt halt null bei der Bevölkerung an. Viele sagen, okay, gut, aber das und das habt ihr nicht gemacht. Egal was man tut, es gibt immer ein ABER. Das ist Teil des Geschäfts.“
„Ich hoffe, du bleibst weiter am Ball.“
„Klar. Weißt du, ich würde auch lieber durch die Gegend laufen und jubeln, dass alles schön ist. Aber das krieg ich noch hin. Irgendwann in den nächsten fünf Jahren werd ich was schaffen, bei dem alle jubeln.“
Wir dürfen also gespannt bleiben.