Warum sabotieren wir manchmal unsere Beziehungen, obwohl alles gut ist?

© Hella Wittenberg

In seiner Kolumne “Romeo und Julius” erzählt Autor Julius Geschichten von seiner Suche nach der Liebe in Berlin. Von schrägen Dates, gebrochenen und geheilten Herzen und der schimmernden Hoffnung, dass es den einen Romeo da draußen geben muss. Das ist Episode 8.

Romeo: Mit der Liebe leichten Flügeln bin ich über die Mauer geflogen. Denn steinerne Grenzen können Liebe nicht fernhalten, und was Liebe kann, das wagt Liebe zu versuchen.

Es ist Samstagabend und ich sitze neben meiner guten Freundin Gesina auf der Couch meiner Mitte-Wohnung. Zwei Weißweinschorlen und ein halbvoller Aschenbecher stehen vor uns. Ich betrachte Gesinas braune Augen, wie sie von der Helligkeit meines iPhone-Displays immer wieder beim Scrollen angeleuchtet strahlen, als sie die letzte Konversation zwischen den Husky-Augen und mir lesen. Einen Abend zuvor habe ich einen dramatischen Abgang von einer WG-Party von Freunden der Husky-Augen gemacht, weil ich etwas von ihm hören wollte. Ich war am Ende sehr betrunken und ich fühlte mich nicht mehr wohl und ich wollte etwas hören wie „Bleib doch für mich noch!“ oder „Ich komme mit dir nach hause, wenn du dich unwohl fühlst.“ oder „Ich bin in dich verknallt und die ganze Tanzfläche soll es heute wissen.“ Letzteres wäre mir natürlich am liebsten gewesen, obwohl auch ich in nüchternem Zustand weiß, dass eine WG-Party kein Ort für so eine große Geste ist. Nichts davon passierte und ich rauschte gekränkt ab – sofern man meinen wankenden Gang als rauschend bezeichnen konnte.

Ein Kuss-Smiley, aber der ohne das kleine Herz

Die Sache ist: die Husky-Augen und ich befinden uns gerade auf verschiedenen Spuren der Autobahn, die zu einer Beziehung führt. Ich bin auf der Überholspur, will ihn nur noch um mich herum haben, mit ihm den ganzen Tag im Bett verbringen und ihm dabei ins Ohr flüstern, wie sehr ich mich in ihn verliebt habe, während ich seinen Hinterkopf kraule und eine abschließende Zigarette unterdrücke. Er fährt sicher auf der rechten Spur, möchte sich Zeit lassen, an Tankstellen Diesel-Luft schnappen und ist nicht bereit dafür, mir nach 5 Monaten des Datings zu sagen, dass wir zusammen sind. Er fühlt keinen Sturm und ich habe Drang. Jetzt liest Gesina unsere Wiedergutmachung und nimmt einen Schluck, bevor sie zur Antwort ansetzt.

„Das ist doch ganz gut, wie ihr aus dem Streit der letzten Nacht raus gegangen seid“, sagt sie und gibt mir mein Smartphone zurück. „Er ist echt süß mit dem Drama umgegangen.“ – „Das stimmt. Ich glaube, ich antworte ihm darauf auch mit dem Smiley, der das Herz zu ihm küsst“, sage ich erleichtert. „Klar, warum auch nicht?“ schaut sie mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Das ist schon viel für uns. Eigentlich schicken wir uns den Kuss-Smiley ohne Herz.“ – „Weil das Herz zu sehr nach Beziehung und Liebe aussieht?“ – „Ja.“

Kann es nicht auch gut für die Beziehung sein, wenn man sie nicht benennt?

Eine Stunde später treffen wir Linda am Paul-Lincke-Ufer, die mir beim Tempranillo eine neue Perspektive schaffen will. „Julius“ sagt sie bedeutungsschwer. „Warum brauchst du denn diese Labels so dringend? Kann es nicht auch gut für die Beziehung sein, wenn man sie nicht benennt? Man kippt nicht so schnell in Muster, sondern hat noch eine gewisse Aufmerksamkeit, die man als Paarklumpen verliert. Ist es nicht schön, wenn man einfach zusammen läuft? Das ist spannend.“ Ich schaue auf Lindas rote Lippen, sage nichts und nippe am Glas. Mit spannendenden Dingen tue ich mich schwer. Spannend, das ist aufregend und ungewiss und während andere Menschen in spannenden Momenten aufblühen, das Adrenalin in ihren Venen spüren und mit dem Kribbeln und Ziehen unerreichbare Ziele erreichen, scheitere ich. Spannend macht mich ängstlich.

Als die beiden merken, dass wir in Lindas Gesprächspunkt nicht weiterkommen, springt Gesina mit einem Gedanken ein. „Ich glaube, es ist dir wichtig, dass du es deinem Umfeld erzählen und ein bisschen damit angeben kannst. Auch, weil du das noch nicht oft hattest. Das wäre gar nichts Schlimmes. Jeder gibt mal gerne an. Besonders mit einem Neuen."-
„Hm. Vielleicht ist es das.“ sage ich bei einem größeren Schluck. Der Rauch kratzt beim Trinken in meiner Kehle.

Warum möchte ich unbedingt ein Label für meine Beziehung?

Am Nachmittag darauf liege ich leicht verkatert unter drei Decken auf meiner Couch. Auf dem Bildschirm flimmert „Bauer sucht Frau“ und während ein sympathischer Schweinebauer seine Frau für die Hofwoche mit einer Pferdekutsche abholt, will Gesinas letzter Gedanke nicht aus meinem Kopf verschwinden. Brauche ich das Label wirklich nur für die Außenwirkung unserer Beziehung? Dafür, was andere von mir denken? Ein anderer Satz resoniert stärker mit mir. „Weil du das noch nicht oft hattest.“ höre ich weiter und der Satz nimmt mich mit in mein Dorf-Zimmer aus Teenager-Tagen, denn ähnlich wie jetzt lag ich dort oft unter mehreren Decken. Manchmal hörte ich dabei „Everytime“ von Britney Spears und manchmal schluchzte ich dabei tief in die Kissen mit Wolkenmuster. Damals wollte ich um jeden Preis gerettet werden. Von einem Prinzen auf hohem Ross, vom Schauspieler ohne Shirt aus dem Musikvideo oder von Justin Timberlake. Und weil ich in den Folgejahren alleine blieb, während andere Jungs im Umkleideraum von ihren ersten Malen prahlten, wurde Justin Timberlake durch Hugh Grant ersetzt, mein Shirt in Träumen mit O-Saft überschüttet und ich wurde in den blauen Türrahmen entführt.

Ich suche nicht irgendjemanden, ich suche einen Romeo.

Selbst als ich in Berlin meine ersten Erfahrungen sammelte und ich mich zum ersten Mal tief in neuen Augen verlor, war trotzdem nichts so, wie ich mir das vorgestellt und ersehnt hatte. Tinder war kein Strauß Blumen. Und Hugh war jetzt „50 Shades“-Jamie mit einem Schlüssel zu seiner Penthouse-Wohnung. Genau in diesem Moment merke ich erst, wie stark mich diese alte Sehnsucht nach dem Happy End bis heute in meinen Beziehungen beeinflusst. Ich habe Mangelerscheinungen. Ich suche nicht irgendjemanden, ich suche einen Romeo. Vielleicht hat mich der Auftritt der Husky-Augen mit dem Drahtesel noch mal mehr in diese Richtung gepusht, weil er so sehr prinzenhaft war. Dabei habe ich weder hinterfragt, ob ich den Romeo wirklich brauche, noch, ob diesen Erwartungen überhaupt irgendjemand gerecht werden kann. Wer hat schon einen Popsong in den Charts, einen Orangensaft in der Hand und ein BDSM-Sex-Zimmer auf dem Gang?

Was ich weiß, ist folgendes: Ich brauchte das Label bisher immer für mich. Ich brauchte das Hofiertwerden, die Blumensträuße und das „ich würde für dich sterben“, weil es irgendwie wiedergutmachen musste, was ich verpasst hatte. Wenn es dieses Gefühl mit einem Typen in der Vergangenheit nicht gab, dann setzte ich unterbewusst zur großen Goodbye-Tour an, so wie das ein alter Popstar macht, der seine größten Hits noch einmal mit heiserer Stimme zum Besten gibt. So lange, bis selbst Hardcore-Fans nur noch langsam und unter leichten Schmerzen der Handballen klatschen können. Ich sabotierte die Beziehung und machte einen dramatischen Abgang auf irgendeiner WG-Party. Vielleicht kann ich das mit 28 begraben, ohne zu trauern und kann den Paarklumpen down the road trotzdem wollen.

Auch wenn er kein Romeo ist, bin ich immer noch Julius

Als ich meiner Kollegin Jana am Montag von der Erleuchtung erzähle, fragt sie mich, was ich denn dann für den Abend geplant habe, an dem die Husky-Augen nach ihrem Kurzurlaub zurückkommen. Kurz abgelenkt schaue ich auf meine Whatsapp-Vorschau aus der ein Smiley im Moment in meine Richtung küsst. Mit roten Backen, ohne Herz. „Ich will in der ganzen Wohnung Kerzen und Teelichter verteilen. Und zwar so, dass sie eine Straße zu meinem Sofa bilden. Only You von Yazoo spielt im Hintergrund.“ sage ich und blicke vom Display auf. „Wie passt das denn?“ fragt Janas Blick verwundert, ohne dass sie etwas aussprechen muss. „Das passt schon“ denke ich. Für mich jedenfalls.

Denn – auch wenn ich meine Träume Träume sein lasse und Hugh zurück auf die Leinwand schicke, bin ich noch derselbe. Auch wenn er kein Romeo sein kann und das auch nicht sein muss – ich bin immer noch ich. Ich bin Julius.

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