Ein Kreuzberger Gentrifizierungsstreit eskaliert – und der Eigentümer ist fein raus
Gentrifizierung. Schwieriges Thema. Wo verlaufen die Fronten? Nehmen wir zum Beispiel mich: Ich bin vor zwölf Jahren zugezogen. Ich bin Künstler. Ich zahle Miete für eine Wohnung, die früher mal billiger war. Zwar renne ich ungefähr alle drei Wochen zum Mieterschutzbund, weil der Eigentümer mich und meine Familie raus haben will. Aber trotzdem: Auch ich bin Teil der Spirale. Je suis Gentrifizierung. Asche auf mein Haupt.
In Kreuzberg eskaliert gerade ein Streit, der ein Paradebeispiel für diese Problematik ist: Die Kiez-Bäckerei „Filou“ in der Reichenberger Straße soll geschlossen werden. Nach über fünfzehn Jahren haben die Londoner Eigentümer den Gewerbemietvertrag gekündigt. Gleichzeitig wurde das Haus um einen Flügel erweitert. Alle Wohnungen werden als Ferienapartments vermietet, ab 100,- Euro pro Nacht. Und im Erdgeschoss des neu erbauten Flügels hat im Januar das schicke Restaurant „Vertikal“ eröffnet. Dessen Betreiberin Claire D’Orsay nun zu Unrecht für die Vertreibung des „Filou“ verantwortlich gemacht und von Gentrifizierungsgegnern angegriffen wird.
Zuerst treffe ich mich mit Daniel, der zusammen mit seiner Frau Nadja das „Filou“ betreibt. „Schade, dass du nicht siehst, wie es hier während der Bauzeit ausgesehen hat“, sagt er. „Vor den Fenstern waren überall Bauzäune. Und manchmal war es so laut, dass wir uns hier drin nur schreiend verständigen konnten.“
Ich frage, wie es zur Kündigung gekommen ist.
„Wir haben uns mit den Eigentümern gut verstanden. Die haben mir immer das Gefühl gegeben, dass wir uns auf Augenhöhe bewegen. Bis 2015 hatten wir 5-Jahres-Mietverträge. Aber weil nicht abzusehen war, ob unser Laden die Beeinträchtigung durch die Baustelle verkraftet, wurde uns angeboten, dass wir den neuen Vertrag nur auf ein Jahr abschließen. Heute weiß ich, wie naiv es war, darauf einzugehen. Aber wir haben den Eigentümern vertraut.“
Die Eigentümer wollen uns raus haben.
„Okay“, sag ich. „Aber meinst du, wenn du misstrauischer gewesen wärst, hätten sie euch nochmal fünf Jahre gegeben?“
„Wahrscheinlich nicht. Die wollen uns raus haben. Der Eigentümer hat in den Medien behauptet, dass wir nicht mehr hierher passen, weil wir eine Aufback-Bäckerei wären. Dabei sind wir das gar nicht. Wir haben keinen eigenen Bäckermeister, das stimmt. Weil wir den nicht bezahlen könnten. Aber wir kriegen zweimal pro Woche frischen Teig geliefert, den wir dann nach Bedarf hier selbst verarbeiten.
Angeblich hätte er uns angeboten, dass wir bleiben können, wenn wir in Zukunft selbst backen. Und nun heißt es, er will zwar weiter eine Bäckerei hier haben, aber nicht uns, weil unsere Freundschaft zerrüttet ist.“
Immerhin hat sich im Kiez eine breite Protestbewegung gegen die Kündigung formiert. In der Bezirksverordnetenversammlung von Friedrichshain-Kreuzberg wurde einstimmig eine Resolution für den Erhalt des „Filou“ beschlossen. Ich will wissen, ob Daniel noch Hoffnung hat, dass sein Café bestehen bleibt.
„Natürlich hoffen wir. Allein schon deshalb, weil es keinen Plan B gibt. Wir haben drei Töchter, zwei davon sind noch klein. Und auch drei Angestellte. Es gibt im Kiez keine Alternative an Gewerberäumen. Und wenn wir woanders hingehen, wäre das ein kompletter Neuanfang. Ohne unsere Stammkundschaft. Wir wollen uns als Familie nicht verschulden. Vor allem, weil der nächste Vermieter uns ja auch wieder nach Belieben kündigen kann.“
„Und was wollt ihr jetzt tun?“
„Keine Ahnung. Uns dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stellen. Oder Hartz IV. Als Selbstständigen steht uns ja nicht mal ALG 1 zu.“
Wir haben keinen Plan B.
Mein Blick wandert zu den Fenstern des „Vertikal“. Sie sind alle zerstört. Ich frage Daniel, was er von den Attacken der Gentrifizierungsgegner hält.
„Claire tut mir leid“, sagt er. „Ich hab das Gefühl, dass sie von den Eigentümern vorgeschoben wird. Und die sind auch die einzigen, denen die Anschläge in die Hände spielen. Weil es jetzt natürlich heißt, dass das „Filou“ schuld an der Eskalation ist.“
Es hat damit angefangen, dass Claire auf Facebook angefeindet wurde. Regelmäßig bespuckten Leute die Scheiben des Restaurants. Als nächstes wird die Klingelanlage zerstört, Jalousien mit Bauschaum verklebt. Unbekannte sprühen „AUSLANDER BONZEN RAUS“ auf die Fassade. Andere Unbekannte übermalen im Anschluss das „AUSLANDER“.
Letzten Mittwoch dann der Höhepunkt: Fünfzehn Vermummte nehmen spätabends Aufstellung vor den Fenstern. Zu der Zeit sind nur noch der Barmann und zwei Köche anwesend. Auf ein gemeinsames Zeichen hacken die Vermummten mit Eispickeln auf die Glasscheiben ein.
Zitat aus dem Bekennerschreiben auf indymedia: „Ihr seid schockiert über diese aktion, aber es trifft die richtigen. Sie wollen diktieren was in das 'konzept des kiezes' passt, aber der kiez das sind wir alle!“ In einem Kommentar schreibt jemand, die Aktion habe sich nicht gegen die Belegschaft gerichtet, sondern gegen die Investoren im Hintergrund. Ich gehe zu Claire und will wissen, ob die Köche und der Barmann das auch so sehen.
Sie wirkt den Umständen entsprechend gelassen. „Gerade fühle ich mich sehr motiviert“, sagt sie. „Ich habe acht Angestellte, die kündigen könnten, weil sie diese Attacken nicht aushalten wollen. Aber sie bleiben alle hier. Und seit der Eskalation solidarisieren sich auch die Anwohner mit uns.“
Das war nicht von Anfang an so. Als Claire sich auf einer Kiezversammlung vorgestellt hat, war die Stimmung aggressiv. Danach hat eine Gruppe von etwa dreißig Leuten das „Vertikal“ gestürmt und „Kündigung zurück nehmen“ gefordert.
„Ich habe nie abgestritten, dass der Eigentümer auch mein Investor ist. Aber das ist trotzdem mein Laden. Und diese Attacken treffen nicht den Eigentümer. Sondern mich und mein Team.“
„Findest du es ungerecht, dass du dich jetzt vor allen rechtfertigen musst?“
„Ja, ridiculous! Wer veröffentlicht denn bitte seinen geschäftlichen Hintergrund? Niemand! Ich mach es halt jetzt, um Klarheit zu schaffen.“
Diese Attacken treffen nicht die Eigentümer. Sondern mich und mein Team.
Die nächste Frage ist heikel. Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass die Hater immer aus ihren Löchern gekrochen kommen, sobald man was auf die Beine stellt. Und was den Vorwurf der Gentrifizierung angeht, hat fast jeder Dreck am Stecken. Mit Sicherheit stammt auch der ein oder andere Eispickel-Stecher aus einem gutbürgerlichen Haushalt in Süddeutschland.
Trotzdem geht es in Claires Fall nicht nur um Selbstverwirklichung. Das „Vertikal“ hat einen Einfluss auf den Kiez, der möglicherweise nicht nur positiv ist.
„Ich kenne den Kiez“, sagt Claire entschieden. „Ich habe seit drei Jahren ein Bilderrahmen-Geschäft um die Ecke. Und ich habe mir viele Gedanken gemacht, wie eine Bar hier rein passen kann. Es gibt preiswertes Mittagessen, man kann auch einfach nur was trinken, wenn man will. Wir haben bei der Gestaltung Berliner Künstler integriert, die Einrichtung ist Second Hand. Und es geht auch um Diversität, sowohl in der Küche, als auch im Staff. Klar, ist der Laden chic. Ist ja meiner, da soll er auch schön sein.“
Ich frage, ob ich ein Foto von ihr machen darf.
„Endlich mal eins, auf dem ich lache“, ruft sie, als ich es ihr zeige. „So bin ich nämlich in Wirklichkeit. In den Zeitungen sehe ich so betroffen aus.“
Ich frage, wie sie und ihr Team sich gegen weitere Angriffe wappnen.
„Keine Ahnung“, sagt sie. „Wir können nur unsere Arbeit machen. Ist schwer genug, ein Restaurant zu führen. Und dann noch diese Proteste. Ich bin im Moment ein bisschen sensibler als sonst.“
Ich gehe wieder nach draußen. Was bleibt, sind unklare Fronten. Daniel vom „Filou“ kann nur noch auf die Politiker hoffen. Ströbele und andere waren bei ihm und haben angekündigt, dass sie sich um einen besseren Gewerbeschutz bemühen werden. Allerdings erst im nächsten Koalitionsvertrag.
„Ist ja gut, wenn dadurch andere nach uns profitieren“, hat Daniel gesagt. „Aber für das "Filou" ist es dann leider zu spät.“
Gentrifizierung. Ein schwieriges Thema. Ich würde sagen, es gibt gute und schlechte Formen. Läden wie das „Vertikal“ machen die Stadt lebendiger. Selbst das „Filou“ war vor fünfzehn Jahren neu und wertet seitdem den Kiez auf. Ich bin froh, dass die Stadt nicht aussieht wie 1945, als hier noch gar nichts gentrifiziert war.
Aber es gibt eben auch schlechte Formen. Zum Beispiel, wenn ein Hauseigentümer den ganz persönlichen Wunsch nach einer schickeren Bäckerei hegt. Und dafür eine Familie mitsamt Angestellten ihrer Lebensgrundlage beraubt – einfach nur, weil er es kann.