Das fast wahre Berlin ABC – Der AVUS

Berlin ist wunderbar, aber auch wundersam. Weil es in dieser Stadt so viele Mythen, Eigenheiten und Begriffe gibt, die dringender Aufklärung bedürfen, gibt es das fast wahre Berlin ABC. In dieser Reihe räumen wir mit allen Wahrheiten und Klarheiten auf.

Um den Avus ranken sich viele Geschichten. Kein Wunder, denn in den über 90 Jahren ist viel passiert. Gerüchten zufolge wurde er zum ersten Mal 1923 in einer kleinen Kaschemme in der Mulackstraße gemixt, damals noch ein Treffpunkt von Halbwelt, Ganoven und Berliner Bohème. Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch seine Zusammensetzung. Seine Basis besteht aus dem damals noch sehr beliebten Absinth, den so manch Hartgesottener auch gerne mal unverdünnt zu sich nahm. Zur Aromatisierung wurde Veilchenlikör zugegeben und alles mit einem guten Schluck Berliner Leitungswasser vermischt. Die Rezeptur blieb in den folgenden Jahrzehnten weitgehend unverändert und wurde mündlich überliefert. Dennoch geriet der Drink immer mehr in Vergessenheit.

Im Laufe der Jahre und des sich wandelnden Zeitgeistes wurden immer weitere Zutaten hinzugefügt. Besonders die 1980er und 1990er veränderten die Rezeptur noch einmal nachhaltig und so ist sie bis heute unverändert. Mit dem Aufkommen der Techno-Szene in Westberlin und dem damit verbunden Drogenkonsum erlebte der Avus sein Revival als It-Getränk. Durch Zugabe einiger Tropfen Amphetamin-Lösung war er ein beliebtes, wenngleich illegales Club- und Partygetränk. Mit der Markteinführung von Viagra 1998 erhielt der Avus seinen schließlichen Feinschliff. Gerüchten zu Folge waren es wohlhabende, bereits leicht angegraute Charlottenburger Geschäftsmänner, die dem Avus das zerbröselte Medikament beimischten und mit dieser Mixtur im Blut rauschende Feste feierten, von denen wir lieber nicht wissen möchten, was genau passierte.

Nein, der Avus ist kein feiner Cocktail. Er ist nicht edel, er schmeckt nicht besonders gut, er enthält verbotene Substanzen und verschreibungspflichtige Medikamente und was nach einem Glas passiert, ist ziemlich unberechenbar. Der Kater, der sich nach dem Genuss eines Avus im Körper breit macht, ist mörderisch und selbst überzeugte Konsumenten fürchten den Tag danach. Dennoch ist der Avus eine Legende, denn in ihm sammeln sich 90 Jahre Lebens-, Feier-, und Zeitgeschichte Berlins. Wir halten es mit dem Avus wie mit dem Erledigen der Steuererklärung: Wir haben ziemlich Angst davor und überlassen es gerne jemand anderem.

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