REISEVERGNÜGEN – Der Rauch Kubas

Rauchen kann tödlich sein. Rauchen erhöht das Risiko für einen Herzinfarkt. Rauchen sieht schlecht aus, stinkt, kostet viel Geld und richtet größtmöglichen Schaden an. Die Zeiten, als Rauchen in Mode war und jeder und jede rauchte, sind längst vorbei. Heutzutage ist Rauchen verpönt. Wer wirklich etwas auf sich hält, der macht Yoga, trinkt grüne Smoothies und raucht um Gottes Willen nicht. Soweit die gängigen Fakten.

Als ich vor kurzem mit meinem 30-Tage-Visum nach Kuba flog, bot sich mir ein gänzlich anderes Bild. Gleich am ersten Tag in der Hauptstadt des sozialistischen Inselstaates war etwas kaum zu übersehen: Hier wird nach Herzenslust geraucht. Markanter Zigarrengeruch vermischt sich mit den Abgasen der nordamerikanischen Oldtimer und schwängert die Luft der heruntergekommenen Straßen Havannas. Völlig unbeeindruckt zeigt sich das Land von jeglichen Anti-Rauch-Kampagnen. Es hat eher den Anschein, als sei Rauchen ausdrücklich erwünscht.

Ich zündete mir also eine kubanische Zigarette an, nahm einen tiefen Zug und beschloss, Kubas Rauch zu fotografieren. 30 Tage, 30 Bilder. Ich begab mich auf eine abenteuerliche Reise und erkundete die entfernten Winkel des Landes. Ich reiste in das westlichste Dorf der Insel und von dort in das Östlichste. Mehr als 3000 Kilometer quer durch Kuba und zurück. In den Gesprächen mit den Menschen stieß ich dabei auf die unglaublichsten Geschichten. Eingehüllt in blauen Dunst.

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Rauchwerk und Rum kann man auf Kuba so günstig erwerben wie sonst nirgendwo. In vielen Geschäften gibt es oftmals weder Milch noch Wasser zu kaufen, jedoch Unmengen an verschiedenen Rumsorten und Zigaretten. Zigaretten gibt es sogar in Apotheken! Vor allem alte Menschen ziehen in Überzahl und genüsslich an den Klimmstengeln. Aber auch praktizierende Köche, Polizistinnen, Friseure und Frauen, die ihre Kinder stillen. Das ist Rauchen in Dreierpotenz. Ohne Kompromisse. Aber irgendwie macht das auch alles Sinn, dachte ich scherzhaft. Ganz stereotypisch trinken die Deutschen das Bier und essen Kraut, die Italiener trinken ihren Espresso und essen Pasta und die Kubaner trinken eben Unmengen an Rum und rauchen Zigarren. Das ist praktizierendes Kulturgut nach allen Regeln der Kunst.

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La Bajada

Als ich in La Bajada ankam, dem Dorf ganz im Westen, gab es im einzigen Geschäft der Einöde kein Wasser, keine Milch, kein Brot und keine Zigaretten! Strom erst ab 18 Uhr. Überhaupt gab es in diesem kubanischen Konsum außer Klobürsten, Rum, Chips und den staatlich genormten Keksen sonst überhaupt nichts. Ich unterhielt mich mit Rodolfo, der seit 25 Jahren in diesem Laden arbeitet, und wartete auf die Zigaretten. Denn die kamen eine Stunde später per Taxi als Sonderlieferung. Eine Kiste voller Zigarren war ebenfalls dabei. Schulbusfahrer Pedro betrat den Laden und kaufte sich zwei Stück davon. Danach setzte er sich in seinen klapprigen Bus und roch genüsslich daran, während er auf die Kinder der kleinen Dorfschule wartete. Geraucht hat er die Zigarre nicht. "Die ist für den Feierabend", lies er mich verschmitzt grinsend wissen. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass er sich schon während der bevorstehenden Fahrt den ersten Zug genehmigt.

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Pedro

Havanna

In Santiago de Cuba begegnete ich Roberto. Nach einer Weile sprach ich ihn auf sein fehlendes Bein an und er erzählte mir, dass er an Diabetes leidet und in der Vergangenheit drei Schachteln Zigaretten am Tag rauchte. "Populares", ohne Filter. Vor zwei Jahren wurde bei ihm die sogenannte "periphere arterielle Verschlusskrankheit" diagnostiziert, umgangssprachlich auch als Raucherbein bekannt. Sein Linkes war nicht mehr zu retten. Ob es letztendlich an der Diabetes lag oder an seinem hohen Zigarettenkonsum, konnte ihm keiner sagen. "Vielleicht beides zusammen", sagte er mit einem müden Lächeln. Vor einem Jahr verließ ihn seine Frau. Roberto bekommt eine kleine Rente von 15 Dollar. Heute raucht er nur noch gelegentlich.

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Roberto

Trinidad

In Trinidad traf ich im Armenviertel auf zwei Brüder. Hector ist 95 Jahre alt und gab vor zehn Jahren das Rauchen auf. Hernaldo hat das mit 83 noch nicht getan. Wir sprachen viel über das Leben, über Frauen und Kuba und über die Stadt, in der sie Zeit ihres Lebens wohnen. Ich fragte Hernaldo, wann er damals mit Rauchen angefangen habe. Er erzählte mir, dass er im Alter von 15 Jahren mit seinem Bruder Arturo bei den hiesigen Bauern Tabakblätter stahl. Diese haben sie dann irgendwie zusammengerollt und heimlich geraucht. Hernaldo wurde sehr emotional und fing fast an zu weinen, als er mir diese Geschichte erzählte. Arturo wäre heute 86 Jahre alt. Er kämpfte in der Revolution an der Seite Che Guevaras und starb 1958 während des Angriffs auf Santa Clara.

Seit über einem halben Jahrhundert sitzen die Brüder allabendlich hinterm Haus und reden. Stolz sprachen sie über den Triumpf der Revolution.

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Hernaldo

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Hector

Guantanamo

Während meines Abendspazierganges sprach mich Claudio auf eine Zigarette an. Zusammen setzten wir uns vor die offene Tür seiner kleinen Wohnung und rauchten. Dabei erfuhr ich, dass Claudio 78 Jahre alt ist und früher in einer Zigarrenfabrik arbeitete. Als ich in das Innere der Behausung schaute, sah ich eine alte Frau vor einem dröhnenden Fernsehgerät. Ich fragte Claudio, ob ich ein Foto von ihm und seiner Frau machen dürfe. Daraufhin sagte er: "Oh nein, das ist nicht meine Frau! Das ist meine Mutter." Ein paar Tage zuvor verletzte sie sich am Handgelenk. Abgesehen davon, erfreut sich die Hundertjährige aber bester Gesundheit. Damals, als Claudio regelmäßig Zigarren von Arbeit mit nach Hause brachte, rauchte sie hin und wieder eine davon. "Aber das ist schon sehr lange her", sagte sie.

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Claudio (78 Jahre) und dessen Mutter (100 Jahre)

Baracoa

Baracoa liegt im feuchten und bewaldeten östlichen Teil der Insel. Es darf sich rühmen, das erste Dorf Kubas zu sein, das von den Spaniern 1511 gegründet wurde. Weit Abseits des Zentrums und der Touristenbars kam ich an einem Haus vorbei. Hinter dem weit offenen Fenster saß eine Frau, die ihrer Katze etwas vorlas. Ich bat die Frau um ein Foto und wir kamen ins Gespräch. Lucia hatte am ganzen Körper Verbrennungen schweren Grades. Auch ihr Gesicht war davon betroffen. Während wir Kaffee tranken und eine Zigarette rauchten, fragte ich sie, wie es zu diesen Verletzungen kam. Es ereignete sich vor sieben Jahren: Damals hatte sie einen großen Topf Wasser für ihre Kochwäsche auf den Herd gestellt. Sie lies versehentlich ihre Zigarette fallen und als sie sich danach bückte, blieb sie wohl irgendwie an dem Topf hängen. So genau konnte sie das nicht sagen. Das brodelnde Wasser ergoss sich über ihren Körper und brannte sich tief in ihre Haut ein. Sieben Monate lag Lucia im Krankenhaus. Ich fragte sie, warum sie damals nicht mit dem Rauchen aufgehört habe. Immerhin war das der Grund für diesen schrecklichen Unfall. Sie sagte, dass es auch alles andere hätte sein können, ein Stift oder ein Kochlöffel zum Beispiel. Heute arbeitet die ehemalige Lehrerin nicht mehr. Sie bekommt eine staatliche Rente von umgerechnet ca. 10 Dollar im Monat.

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Lucia – Das Foto zeigt sie mit 15 Jahren beim Tanzunterricht

Nationalpark Alexander von Humboldt

Zwischen Baracoa und Moa befindet sich der Nationalpark "Alexander von Humboldt". An einer traumhaften Bucht namens Bahia de Taco, nahe der Ortschaft Nibujon, verbrachte ich einige Tage in einer Herberge für Abenteurer. Es gab dort weder Trinkwasser noch ernsthafte, feste Nahrung zu kaufen. Man tut gut daran, alles Notwendige mitzubringen. Unweit meiner Bleibe traf ich am Straßenrand auf Ángel. Er bot die für den Osten Kubas typischen "Cucuruchos" an, eine süße Masse aus Kokos, Honig und Früchten, hübsch in Blättern eingewickelt. Des Weiteren hausgemachte Kekse, Bananen und Kokosnüsse. Ich besuchte ihn jeden Tag und ernährte mich von den Süßigkeiten. Seit sechs Jahren betreibt er das kleine Straßenbusiness. Damit finanziert er zum Teil das Studium seiner Enkel. Vor sieben Jahren starb seine Frau. Vor vier Jahren starb sein Vater im Alter von 117 Jahren. Ein Jahr darauf seine Mutter. Am Tag, an dem sie starb, wurde sie gerade 113 Jahre alt. Ángel wohnt, zusammen mit seiner ältesten Tochter, noch immer in der spartanisch eingerichteten Holzhütte, in der er geboren wurde. Auf vorbeifahrende Touristen wartend sitzt er jeden Tag am Straßenrand und ist immer gut gelaunt. Manchmal raucht er dabei eine Zigarette.

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Ángel

Den Großteil der Kokosnüsse hat er mir geschenkt. Dafür schenkte ich ihm zum Abschied meine kurze Hose. Selten habe ich einen Menschen glücklicher gesehen. Für viele Kubaner und Kubanerinnen ist neue Kleidung oft unerschwinglich.

Nicht mit allen meinen qualmenden Kubanern und Kubanerinnen habe ich längere Gespräche geführt. Deren Geschichten bleiben der Fantasie überlassen. Fest steht, einige von ihnen sehen mit Zigarre einfach nur gut aus. Andere ganz und gar nicht. Das Kraut hatte deshalb für mich auf Kuba zwei ganz klare Gesichter: ein romantisches und überaus fotogenes. Aber auch ein destruktives, ja schockierendes. Zwei Gesichter, die nicht nur den Tabakkonsum, sondern auch den sozialistischen Staat an sich widerspiegeln.

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Marianela

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Zwei alte Freunde

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Die Polizei

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Der Friseur

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Der Trinker

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Die Verkäuferin

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Die Voodoo-Queen

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Der Scherenschleifer

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Der Zeitungsausträger

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Die Großmutter

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Der Großvater

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Der Doktor

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Der Taxifahrer

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Der Schüler des Schachmeisters

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Der Schachmeister

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Der Koch

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Der Künstler

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Des Künstlers Freunde

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Der Nachdenkliche

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Der Komiker

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Der Verrückte

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Der Bauer

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Der Aufgebrachte

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Der Kämpfer

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José

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Pepe

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Die Mutter

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Der Biker

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Der einzige Nicht-Kubaner meiner Fotoserie ist ein junger Mann. Er stand in Havanna vor zwei großen bemalten Türen und wartete auf ein Taxi. Auf dem Bild zündet er sich gerade eine kubanische Zigarette an. Angesichts der aktuellen historischen Annäherung zwischen den USA und Kuba, hätte er sich dafür keinen besseren Ort aussuchen können.


Fotos und Text: © Lars Lindborg

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