Das Leben der Anderen #2 - Der Zen-Grillwalker

Was macht ein Müllfahrer, Taxifahrer, Fahrkartenkontrolleur in seiner Freizeit? Wie sieht es bei einem Grillwalker zu Hause aus, wovon träumt die Frau vom Ordnungsamt? In unserer neuen Serie “Das Leben der Anderen” trinken wir Kaffee und Bier mit waschechten Typen ohne Röhrenjeans und stellen diese Fragen. Diesmal haben wie den Grillwalker Christopher getroffen.

 

Der Ausgang des U-Bahnhofs am Alexanderplatz, direkt unter dem mächtigen Forum Hotel, ist sein Arbeitsplatz. Seit sieben Jahren verkauft Christopher Janes dort Bratwürste.In seinem Job hat er nur eine Wahl: Senf oder Ketchup. 25 Kilo trägt er jeden Tag mit sich rum. Ob das Wetter nun gut oder schlecht ist, spielt keine Rolle. Im Winter ist es zu kalt, im Sommer zu heiß. Neulich war ein Team des Pro7-Magazins Taff da. Im Beitrag wurde der Job des Grillwalkers als „schlimmster Job der Welt“ bezeichnet.

Christopher ist 29 und würde nie ein schlechtes Wort über seinen Beruf zu verlieren. „Als ich im Baumarkt gearbeitet habe, hat es den ganzen Tag nach Chemie gestunken. Da ist es an der frischen Luft schon besser.“ Er ist groß, gut gebaut, hat strahlend weiße Zähne, einen rasierten, leicht erröteten Kopf. Aus dem Shirt ragen Tätowierungen. Seine 27qm große Bude bezeichnet er als „Astronautenwohnung“. Eher unwahrscheinlich, dass er irgendwann einen anderen Planeten besucht. Aufgewachsen in der Nähe von Gera, lebt er seit acht Jahren in Berlin - Lichtenberg. Er mag die vollen U-Bahnen hier und sowieso die vielen Menschen und den Trubel. Und sogar die Fanmeile. Einen Lieblingsplatz hat er nicht. Im Urlaub war er auch noch nie.

Eher beiläufig saht er, er sei „wunschlos glücklich“. Wie geht das? Wunschlos zu sein. Glücklich mit dem vermeintlich schlimmsten Job der Welt? Nicht jede Station im Leben als nur eine Zwischenstation zur nächsten Haltestelle zu sehen und sich alle vier Jahre nach was anderem zu sehnen. Einem neuen Job, neuen Freunde, einer neuen Wohnung. Ist Christopher Janes vielleicht die Reinkarnation des legendären Zen-Meisters Taisen Deshimaru Roshi? Seine Frisur stützt diese These und mit jede seiner pragmatischen und gleichmütigen Antworten regt an das eigene Leben zu hinterfragen.

Es ist wahnsinnig schwer, Christopher private Details aus seinem Leben zu entlocken. Einzig beim Thema Tätowierungen sieht man kurz seinen inneren Grill aufflackern. Für einen Termin mit seinem Stammtätowierer fliegt er extra nach Ungarn oder setzt sich in den Nachtzug nach Wien. Die düsteren Motive sind sorgfältig gewählt, und er könnte viel darüber erzählen - macht er aber nicht. Stattdessen zieht er sein Shirt aus, zeigt Namen, Initialen, ein Porträt seiner Mutter, bei der er aufgewachsen ist. Mehr gibt es darüber nicht zu erfahren.

Silvester war er mit ein paar Freunden und Kollegen im Soda. “Bis 8 Uhr morgens.“ Weihnachten war er zu Hause bei seiner Mutter. Ein Geschenk für ihn gab es nicht. „Hab mir auch nichts gewünscht.“ Natürlich, er ist ja wunschlos glücklich. Am Abend schaut er fern oder hört Musik, dann heißt es duschen, essen und ins Bett, denn am nächsten Tag muss er wieder sieben Stunden lang 25 Kilo auf seinen Schultern tragen. Der stinkende Grill, die hektische Monotonie am Alexanderplatz und lärmende Tristesse der Baustellen machen ihm nichts aus. Während der Schicht beißt er in den sauren Apfel, ohne dass es für ihn sauer schmeckt. Als wir ihn fragen, wie lange er den Job noch machen will, holt er noch mal richtig aus: „Zwanzig Jahre locker.“

Auf dem Weg nach Hause kommen wir an einem dieser Plakate für Meditationsveranstaltungen vorbei - und könnten schwören: Aus dem Augenwinkel betrachtet, schaut uns da Christopher Janes, unser Zen-Grillwalker an.







Portrait: Matze Hielscher und Linda Krieg

Die Serie entsteht in Kooperation mit Greatest Berlin. Wenn euer Onkel Taxifahrer, Maurer o.ä. ist, dann sagt uns gern bescheid.

 

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