DAS LEBEN DER ANDEREN #17 – Hummer, Koks und Trüffel-Risotto mit einem Berliner Koch

Die durchschnittliche Lebenserwartung eines Chefkochs liegt bei 56 Jahren. Man kennt die Klischees: 70-Stunden-Woche, immerzu Stress, Alkohol, Drogen. Ich stelle mir das sehr Rock’n’Roll-mäßig vor. Und will wissen, ob es wirklich so ist. Deshalb suche ich Andreas in seinem Restaurant in Mitte auf.

Der erste Interview-Versuch scheitert. Andreas (der nicht wirklich so heißt) findet meine Fragen blöd. Er sagt, dass man sich von außen sowieso kein Bild von dem Leben eines Kochs machen kann.
„Okay“, sage ich. „Darf ich dann mal zu einem Catering mitkommen?“
„Mach doch“, sagt er. Ich soll nächsten Dienstag antanzen. Ein Dr. Dr. lädt in seine Villa in Zehlendorf. „Zwanzig Pax, vier Gänge. Wir kochen direkt vor Ort.“

„Soll ich irgendwas Besonderes anziehen?“
Er grinst mich an: „Weißte, wie scheißegal mir das ist?“

Andreas entstammt einer Gastronomen-Familie. Seine Oma hatte ein Gasthaus in Thüringen. Sein Vater war Restaurant-Leiter im Palast der Republik, seine Mutter die Barfrau. Er selbst kocht seit zwanzig Jahren, hatte Läden in Kreuzberg und Friedrichshain. Als ich an dem besagten Dienstag ins Restaurant komme, geht gerade das Mittagsgeschäft zu Ende. Vereinzelte Tische sind noch besetzt, aber die Leute warten nur auf die Rechnung. „Wann hast du heute angefangen?“, frage ich.

„Um sieben. Musste nebenbei zwei Caterings rausschicken. Und natürlich ist genau an so ’nem Tag der Laden voll. Die haben mich RICHTIG gefickt.“
„Was heißt voll?“
„80 Essen. Und mein Hilfskoch is krank. Komm, genug gequatscht jetzt. Zieh dir ’ne Schürze an, wir ham’ Hektik.“

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Er schiebt mich an ein Schneidbrett, zeigt mir mit blitzschnellen Bewegungen, wie man die Keule eines Schwarzfederhuhns entbeint, schmeißt mir das Messer hin.
„Was kochen wir überhaupt?“, frag ich.
„Weeß ich doch jetzt noch nich!“

Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie er an seinem Posten wütet: Rosenkohlblätter zupft, Hummerschwänze auslöst, Eier trennt, irgendwas mit einem Fenchel anstellt.
„Biste mit deinen Keulen schon fertig?“
Ich schnitze noch an der ersten herum, geb mir Mühe, mich nicht zu schneiden.

„Na, stellen wa uns blöde an?“ Er lacht und fasst mir mit beiden Händen auf die Schultern. Knallt im nächsten Moment ein Bier auf mein Brett: „Immer viel trinken!“
Nebenbei drängt er seine Spülhilfe und die Kellner zur Eile, spricht mit sich selbst, während er die Kisten für unsere Mucke packt: „Butter hab ich, Trüffel hab ich, Kresse hab ich, Pimpernelle hab ich. Komm, jetzt machen wa uns erstma frisch.“

Also doch Rock’n’Roll. Während er auf einem Klodeckel alles vorbereitet, frag ich ihn, warum er Koch geworden ist.
„Weil ich zu dämlich war, Kellner zu werden.“ Er grinst. Schwer zu sagen, wann er etwas ironisch meint.

Sternekoch? Bist du bescheuert? Damit verdient man doch nix. Und du hast jeden Tag Druck.

„Und wolltest du je Sternekoch sein?“
„Bist du bescheuert? Damit verdient man doch nix. Und du hast jeden Tag Druck.“

Ich fasse seinen Alltag zusammen: Fünf Tage Frühschicht im Restaurant, abends und am Wochenende Caterings im Bundesrat, Anwaltskanzleien, Botschaften. Steht er da nicht eh unter Druck?
„Ach, Quatsch. Das bisschen...“ Er winkt ab. „Als Sternekoch ist es schlimmer. Da darfst du nie einen schlechten Tag haben. Ich will doch Mensch bleiben!“

Auf der Fahrt Richtung Zehlendorf läuft uns beiden die Nase. Andreas hat mir den Beifahrersitz überlassen, damit er auf der Rückbank in Ruhe B.Z. lesen kann.
„Schnauze“, sagt er, als ich etwas fragen will.

Unser Arbeitsplatz für den Abend ist eine vierstöckige Villa mit Privatsee. Der Hausherr begrüßt uns persönlich im Flur.
„Die Küche ist ja größer als die im Restaurant“, sag ich.
Andreas nickt: „Und es ist nicht mal die größte im Haus.“

Ich werde immer nervöser. Während unser Kellner die Tische eindeckt und Getränke kalt stellt, studiere ich die Karte. In einer Stunde sollen die Gäste kommen.
„Schaffen wir das denn alles?“, frag ich.
„Klar. Ich hab doch dich dabei. Komm, ich zeig dir erstmal das Klo.“

Naja, die Nasenschleimhäute werden schon taub. Da muss ich dann irgendwann vorsichtig sein.

Schon wieder Doping. In der Küche dann neues Bier.
„Schmeckst du in so einem Zustand denn eigentlich was?“, frag ich. Andreas wiegt bedächtig den Kopf: „Naja, die Nasenschleimhäute werden schon taub. Da muss ich dann irgendwann vorsichtig sein.“
„Beim Würzen? Oder beim Nachlegen?“
„Bist du bescheuert? Beim Würzen natürlich!“

Ob ich es will oder nicht: Seine Abgebrühtheit beeindruckt mich. Und er scheint ja auch alles im Griff zu haben, so ausgebucht wie er ist. Für eine halbe Stunde arbeiten wir konzentriert. Würfeln Schalotten und Kräutersaitlinge, reduzieren Orangensaft, spritzen Lachstatar als Amuse-Gueule auf komische Löffel. Bevor wir den ersten Gang raus schicken, bringt der Kellner uns zwei Wassergläser Champagner.
„Prost, du Vogel“, sagt Andreas und kippt seines auf Ex.

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Nach dem Hummer kochen wir Trüffel-Risotto. Andreas scheint instinktiv zu spüren, wann es perfekt ist. Er muss nicht probieren, gibt den Löffel stattdessen mir. Draußen buhlen Deutschlands führende Physiker um die Gunst einer Pressemäzenin, damit sie Geld für deren Stiftungen springen lässt. Hier drinnen schwitzen wir und ich werde immer betrunkener.

„Was machst du eigentlich in deiner Freizeit?“, frag ich.
„Wat für ’ne Freizeit?“
„Naja, wenn du mal nicht arbeiten musst.“
Er reagiert nicht, weil auf seinem Handy ein Tor gefallen ist. Es ist englische Woche und Bayern droht Zuhause zu verlieren

„Müssen wir nicht mal langsam das Huhn braten?“, frag ich.
„Ganz entspannt. Komm, wir rauchen erstmal eine.“
Draußen bohre ich weiter. Ob er zufrieden ist.
„Wat soll’n dit heißen?“
„Wärst du gern Fernsehkoch?“
„Nee, ey. Das sind doch alles Spasten. Also, ich mein, ist schon okay. Wenn man Sternekoch ist, kann man nur im Fernsehen Geld verdienen. Aber die Sendungen sind halt alle so scheiße. Obwohl, letztens hab ich KITCHEN IMPOSSIBLE gesehen. Das ist echt gut.“
„Also wäre das was für dich?“
„Weißt du doch nicht.“

Er grinst und prostet mir zu. Die Gäste sind vom Essen begeistert. Der Hausherr kommt später und bedankt sich mit Worten und Trinkgeld. Der Rest geht auf Rechnung. 130 Euro pro Kopf plus Getränke.
„Und was machst du mit deinem Geld, wenn du nie frei hast?“
„Meinen 19-jährigen Sohn füttern. Und ansonsten: Saufen und Ficken.“
„Glaubst du, dass du älter als 56 wirst?“
„Weeß icke. Mach mal dein Glas leer.“
Dann schenkt er mir nach. Fragt, wann ich am nächsten Tag auf der Matte stehen werde. „Warum? Bin ich jetzt eingestellt?“
„Klar. Ich brauch immer Frischfleisch. Und morgen ist richtig Hektik. Das heute war doch nur Pillepalle.“

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Das letzte mal war Clint mit der Schauspielerin Katja Sallay unterwegs.

Fotos: © Matze Hielscher

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