DAS LEBEN DER ANDEREN #16 – Weihnachtsmann Hartmut Möller

"Wie viel ärmer wäre die Welt, wenn es keinen Weihnachtsmann gäbe?", fragt Hartmut Möller in den Raum. Auf seine rhetorische Frage gibt es wohl nur eine Antwort: "Sehr arm". Denn seit Jahrhunderten ist der Weihnachtsmann Sinnbild des Weihnachtsfest, des Schenkens und besinnlichen Gedenkens. Ein Weihnachten ohne Weihnachtsmann? Undenkbar! Und so findet man sie im Stadtzentrum überall: auf Weihnachtsmärkten, in Kaufhäusern, an Straßenecken und, als man noch Kind war, irgendwann im eigenen Zuhause. Aber woher kommen eigentlich all die vielen Weihnachtsmänner?

In einem kleinen, mit allerlei Weihnachtskrimskrams vollgestellten Büro in Lichterfelde-West sitzt Hartmut Möller vor seinem Computer und beantwortet die eingehende Anfragen: Firmenveranstaltungen, Kitas, Kaufhäuser, Familien und so weiter. Möller kommt aus Berlin, ist 71 Jahre alt, seit 2003 im Ruhestand und seit vier Jahren nebenberuflicher Weihnachtsmann zur Weihnachtssaison. Den Job bot ihm sein Sohn an, der die Eventagentur Spectacolo leitet. Möller spielte schon früher mit Freude den Weihnachtsmann für seine Enkelkinder, sagte also zu und ist seitdem ein Premium-Weihnachtsmann mit echtem Bart, darauf legt die Agentur Wert. "So ein angeklebter Bart fällt ja den Kindern auf", meint Möller und vor Gezupfe an dem Bart und Fragen, ob der denn auch wirklich echt sei, ist man als Weihnachtsmann eben nicht gefeit.

Der Bart ist für viele Auftraggeber ausschlaggebend. Einigen ist die Länge des Bartes egal, viele erwarten aber einen typischen, weißen Rauschebart und da kann Möller mit seinem im Vergleich recht kurzen Exemplar nicht mithalten. Eigentlich will er das auch nicht, denn wie jeder Mann weiß, wuchert mit dem Wachsen des Bartes auch der Hals zu und das ist eben irgendwann ziemlich unangenehm. Im September also hört Möller mit dem Rasieren auf und lässt den Bart bis zum Weihnachstfest wachsen. Danach kommt er ohne Sentimentalitäten wieder ab. Das Tragen einer Brille ist übrigens auch so ein Kriterium. Der Weihnachtsmann trägt sie einfach nicht und wenn, dann ein kleines, rundes Lesegestell auf dem Zipfel der Nase. Möller wird beim Erzählen ganz glücklich, denn seine Augen seien mit dem Alter wieder besser geworden, sodass er nun ohne Brille Weihnachtsmann spielen könne. Sieht einfach besser aus.

Das sind eben die kleinen Feinheiten, auf die es ankommt. Wer jetzt allerdings denkt, dass der Job eines Weihnachtsmann nur darin besteht, wie einer auszusehen, der hat die Rechnung nicht mit dem organisatorischen Aufwand, der Arbeit vor Ort und schlussendlich mit den Kindern gemacht. Zunächst muss nämlich der Auftrag und die Zuständigkeiten in allen Details besprochen werden. Wo und in welchem Rahmen tritt er als Weihnachtsmann auf? Wer sind die Gäste? Hat er einen Sack mit Geschenken dabei? Sollen die Gäste etwas aufsagen oder vorsingen? Welches Gewand trägt Möller (das mitteleuropäische rot-weiße oder doch das russische, blaue-weiße Väterchen-Frost-Kostüm)? Und wenn er am Weihnachtsabend bei Familien zu Gast ist: Wie viele Kinder sind anwesend? Sollen auch sie etwas aufsagen? Werden ihnen die Missetaten des letzten Jahres vorgehalten? Und wo werden die Geschenke in den Sack gepackt? Alles Dinge, die vorher geklärt werden müssen.

Wenn Hartmut Möller dann als Weihnachtsmann verkleidet durch Berlins Kaufhäuser zieht, Süßigkeiten an die Kinder verteilt und mit allerlei Menschen Lieder singt und Gedichte aufsagt, dann ist das kein Spaziergang, sondern ein "Walkact", wie er selbst sagt. 6 bis 8 Stunden läuft er gekleidet in dicken Stiefeln, einer Mütze, Handschuhen, einem Mantel, unter dem sich zusätzlich noch eine Bauchattrappe befindet (denn Möller ist schlank und ein Weihnachtsmann nun mal dick), und einem vollgepackten Sack auf dem Rücken durch das beheizte Kaufhaus. Essen und trinken kommt bei den rar gesäten Pausen auch relativ kurz – für einen 71-Jährigen ist das eine ordentliche Leistung. Wenn er am Weihnachtsabend dann bis zu vier Familien besucht, sieht er seine eigene erst gegen 20 Uhr. "Wir sind früher immer gern in die Christvesper gegangen, das machen wir jetzt eben nicht mehr.", sagt Möller etwas bedrückt.

Warum wurde er dann überhaupt Weihnachtsmann? "Es gibt Kinder mit unglaublich wachen Augen und das ist herrlich. Wenn sie sich freuen, nicht auf die Geschenke, sondern Weihnachten an sich, das ist das Schönste als Weihnachtsmann." Man merkt Möller an, dass er das Weihnachtsmanngeschäft nicht aufgrund des Geldes, der Verpflichtung gegenüber seinem Sohn oder aus Langeweile macht. Er hat Spaß daran, die Kinder und Menschen glücklich zu sehen, sie aber auch mit kleinen Fragen und Aufgaben zur Geschichte des Weihnachtsfestes herauszufordern – und sich zur Not auch flexibel aus der Lage zu reden. Denn, wenn die Kinder fragen, wo denn seine Rentiere seien, dann dürfen die schon mal zu Hause geblieben sein – sofern draußen kein Schnee liegt. Oder wenn sie die Namen aller Rentiere wissen wollen, die Möller nicht immer sofort parat hat, darf auch das Alter der Weihnachtsmannes als Ausrede vorgeschoben werden. "Der Weihnachtsmann ist eben sehr alt und kann sich die Namen der Rentiere nicht merken", sagt er lachend. Was denn der Weihnachtsmann eigentlich im Sommer mache, möchte ich wissen und Möller zählt schlagfertig auf: Schlitten flicken, Rentiere versorgen, sich erholen und einsam im Wald leben. Die Ausreden müssen immer ehrlich wirken, sagt er, denn Kinder merken, wenn man sie verarschen will (siehe Bart). Im Übrigen seien Mädchen mutiger als Jungs und trauten sich eher Fragen zu stellen und Lieder und Gedichte vorzutragen heran. Auch so eine Erkenntnis.

Als die Sprache auf die Kommerzialisierung des Festes kommt, merkt man dann doch, dass Hartmut Möller bereits 71 Jahre alt ist. "Ich stelle fest, dass wenig von der Adventszeit geblieben ist.", kritisiert er die Kommerzialisierung von Weihnachten und das besinnungslose Schenken. Neulich habe er einem Kind ein iPhone 6 überreicht. Möller kann wenig Verständnis dafür aufbringen. Größer sei nicht immer besser und weniger manchmal mehr. Möller denkt zurück an die hölzernen Spielzeuge und Schaukelpferde, die er als Kind erhielt, und äußert sich etwas abschätzig über das lang währende Plastikspielzeug der heutigen Zeit. Eine andere Generation eben.

"Es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die wir uns nicht erklären können." Hartmut Möller ist ein Weihnachtsmann alter Schule, kein Abziehbild eines grantelnden Weihnachtsgrinches, der nur seinen Job macht. Für vier Wochen im Jahr schlüpft Möller in seine Rolle und füllt sie mit der gleichen Begeisterung aus, wie er sie früher als Kind für die Ankunft des Weihnachtsmannes empfand.

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