ARTVERGNÜGEN #71 – Die Überwindung von Grenzen mithilfe der Kunst

Panmunjeom, Koreas demilitiarisierte Zone im Oktober 2014. Zwischen "Freiheitsdorf" und "Friedensdorf" (SpOn) kriechen abenteuerhungrige Touristen den Tunnel der Aggression hindurch. Helm an, Licht in der Hand. Sollten sie auf der nordkoranischen Seite auftauchen, würden sie feststellen, dass die lupenreinen Häuser nur Fassaden sind, die für sie, die fernbeglasten Touristen, in Schuss gehalten werden. Das zumindest erzählen die Fremdenführer – eine Lüge, weiß selbst Wikipedia. Ein Freund berichtet mir, wie seine Exkursion in die Grenzzone gerade von US Militärs diktiert wurde. Fotos nur in eine Richtung und auch nur auf Befehl. Es gibt eben Ansichten, die Niemand zu Gesicht bekommen soll. Und eine Mauer, die kaum nachzuweisen ist, aber deren Existenz bestätigt wurde. Realitäten als politische Kreationen.

Dieser Artikel ist jenen Menschen gewidmet, die derartige Grenzen, sichtbare wie unsichtbare, herausfordern. Die die Methoden der Kunst nutzen, um zu verbinden, was und wer künstlich durch Mauern und Zäune getrennt wurde. Wie schon der große Picasso sagte: "Painting was not created to decorate walls. It is an instrument of war, defensive and offensive, employed against the enemy." Der Feind sind die Grenzen, nicht die Ausgegrenzten.

DSC_9107"Challenging Walls" in Israel, © Ruthe Zuntz

2007 trieb die in Berlin lebende, israelische Fotografin Ruthe Zuntz Kreative und Intellektuelle aus Orten zusammen, die durch Mauern geteilt sind – in Zypern, Nordirland, im ehemaligen Ost- und Westdeutschland sowie Israel und Palästina. Mittels des Kunst-Friedensprojekts Challenging Walls öffneten Fotografen Fenster entlang der Trennungslinie. Ihre Bilder zeigen die Parallelrealität der anderen Seite durch Porträts ihrer Bürger. Und: Sie zeigen Gemeinsamkeiten, statt die von Machthabern gezeichneten Feindbilder vom dummen, aggressiven Nachbarn. "So öffnete sich ein Spalt, durch den die Menschen jenseits der stereotypen Bilder erkennbar wurden." Mit 400 einflussreichen Personen musste Ruthe allein in Israel bis zur Genehmigung des Projektes sprechen. Ihre Motivation: "Kunst ist weder die Lösung noch der Konflikt, aber sie hat die Macht, Bewusstsein zu kreieren, einen Boden für Diskussionen anzubieten, als Startpunkt einer Handlung."

Den Bedarf für solche Diskussionen gibt es heute wie damals und bedauerlicherweise werden sie nicht weniger. In diesem Augenblick campiert die spanische NGO "ARTifariti" mit ihrem Kunstfestival in der Sahrawi-Region, marokkanisch-algerisches Grenzgebiet. Auf der einen Seite der "Mauer aus Sand" verlegte das marokkanische Militär in den 80er Jahren Millionen von Landminen. Dominique Lucien Garaudel vom Düsseldorfer Design- und Kunstkollektiv Moxie ist als Teilnehmer vor Ort. "Es geht um die Freiheit hier. Alle wollen zurück in ihr Land. Mit Kunst und Kultur versuchen wir wieder eine größere Öffentlichkeit zu schaffen.", erzählt Garaudel.

Bildschirmfoto 2014-11-11 um 12.51.07

Kunst vermag Orte zu kreieren, die sich der territorialen Zuordnungen per Koordinate entziehen. In einem Artikel habe ich vor einiger Zeit besprochen, wie künstlerische Interventionen Zonen zur freien Meinungsäußerung kreieren. Darin zitiere ich den von mir verehrten Soziologen und Philosophen Henry Lefebvre: "A social transformation, to be truly revolutionary in character, must manifest a creative capacity in its effects on daily life, on language and on space."

Vor einigen Jahren warb ein Funktionsmaterialjackenhersteller mit der Analogie "unsere" Mauer für seine einseitig wasserdurchlässigen Materialien. Wasser kann aus-, aber nicht eintreten. Von Westen geht’s in den Osten, von Osten aber nicht in den Westen. Wie Infrastruktur territorialer Indikator sein und Grenzen verschieben oder zumindest durchlässig machen kann, zeigt auf wundervolle Weise Julian Olivers Projekt "Border Bumping" (2012/2013) . 2012 reiste er in einem Bus entlang des Grenzverlaufs zwischen Kanada und den USA. Seine Frage war im Wesentlichen: "Wo sind wir wirklich und was entscheidet, wo wir sind?" Ihr kennt das von euren Reisen, wenn man vom Roaming-Partner im neuen Netz begrüßt wird. Dann weiß man, man ist angekommen, oft noch bevor oder nachdem man die physische Grenze überquert.

CVW_SunCinema_01 "Sun Cinema" in der Türkei, © Clemens von Wedemeyer

Beliebte Floskel in den "Grenzkünsten" sind die des Fenster des Erschaffens und des Spiegels wie bei "Challenging Walls" oder "Sun Cinema (2011)" von Clemens von Wedemeyer. Der errichtete Spiegel in Mardin, wo die Türkei auf Syrien trifft, also am Schauplatz des türkisch-kurdischen Konflikts, sei Open-Air-Kino. "Vorne auf der Leinwand laufen Filme Anderer, doch wenn man sich am Tag hinter die Leinwand bewegt, sieht man in sein eigenes Spiegelbild in der Landschaft. Oder wenigstens die Reflektionen der Sonne auf seiner Haut und Kleidung."

Gerade mithilfe digitaler Mittel ist die Grenzüberschreitung ein leichtes und oft getanes. "Connecting Cities" heißt ein Netzwerk, das sich dem voll und ganz verschrieben hat. In jährlichem Rhythmus werden Werke kuratiert, die länderübergreifenden Austausch mithilfe digitaler Installationen, Projektionen und Performances möglich macht, die die Grenzen von Körperlichkeit, die Frage nach dem "Wo bin ich und wer ist da noch?" in den Mittelpunkt stellt. Das Berliner The Constitute hat mit "Ready to cloud" einen Beamer-Prototypen erschaffen, bei dem der Körper in Daten übersetzt und auf Nebel als mobilen Träger projiziert wird. So können sich schon mal Menschen in der Wolke begegnen, die geografisch voneinander getrennt sind.

Binoculars"Binoculars to… Binoculars from…" am CHB, © Public Art Lab

Territorien verschwimmen in der Wolke. Bei "Binoculars to… Binoculars from…" (2013) schweift der Blick weiter, als nur über die nächste Gebirgskette. Über ein uns von szenografischen Aussichtspunkten bekanntes Fernglas kann man mal eben einen Blick auf den Marktplatz von Madrid werfen, wo gleichzeitig das eigene Auge überlebensgroß auf einer Wand erscheint. Der Betrachter nimmt Gestalt am anderen Ort an, ohne dort zu sein.

Vor 25 Jahren ist also die Mauer gefallen. Wir in Deutschland brauchen heute keine Fenster mehr nach Drüben. Aber wie Klaus Wowereit in seiner Ansprache sagte: "Mögen die anderen verbleibenden Mauern auch bald weichen." Und mögen Künstler nicht aufhören, mentale Grenzen niederzureißen, bis es soweit ist. Das sagte nicht Wowi. Das sage ich.


Titelfoto: © Debora Ruppert
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