ARTVERGNÜGEN #31 – Bye Bye c/o Mitte und Martin Kippenberger im Hamburger Bahnhof

Foto: Matze Hielscher

Von wegen im Westen nichts Neues! Die c/o Berlin zieht nach Charlottenburg und verlässt damit eines der schönsten Gebäude Berlins - natürlich nicht ohne gebührenden Abschied. Wir haben ein paar Freunde nach Erinnerungsstücken gefragt und welche von Kai Müller, Christoph Voy und Bella Lieberberg bekommen. Im Hamburger Bahnhof wird es gut gelaunt bis exzessiv bei Martin Kippenberger.

c/o Berlin Closing Postfuhramt
 All Palaces Are Contemporary Palaces

Auch das noch, denke ich. Als hätte die Berliner Seele dieser Tage mit der Verscherbelung seiner selbst nicht schon genug zu leiden, ruft es mir mit "Bye Bye Mitte..." an jeder Straßenecke den traurigsten Umzug des Jahres ins Gedächtnis. Die c/o Berlin verlässt das Postfuhramt in der Oranienburger Straße. Die Container stehen schon im Hof, die ersten Decken werden abgerissen. Eine Lichtskulptur auf dem Dach leuchtet All Palaces Are Contemporary Palaces in die Nacht.

Ich kenne fast niemanden, der nicht eine Menge persönlicher Geschichten mit diesem Haus teilt. Wann meine begann, weiß ich gar nicht mehr. Richtig verknallt war ich in dieses Haus, mit viel opulenter Patina kam es daher. In den Wänden sah man noch Einschusslöcher,  die schiefen Aufgänge erzählten von tausenden Füßen, die hier schon durchmarschierten und bei jedem Besuch dachte ich mir: Dieses Haus! Diese Treppen! Diese Räume! Diese Fliesen!

Als die Nachricht kam, dass die c/o diesen Prachtbau verlassen muss, war das ein ordentlicher Schlag. Die Möglichkeit zu verlieren, jederzeit diese Architektur und Ausstellungen, die keine schlechten Tage kannten, zu besuchen, schien mir unvorstellbar. Das Baby Melancholie nahm mich mit und ließ mich an die Warteschlangen bei der Annie-Leibovitz-Ausstellung denken, der auch die Gastronomen rund um die c/o auf Knien dankten.  An Joel Steinfeld, Anton Corbijn, Karl Lagerfeld, Martin Parr und so viele mehr, die man hier bewundern konnte.

Das Postfuhramt war kein leiser Ort. Immer gab es einen Dialog zwischen dem Haus und seinen Besuchern. Keine minimalistische, klinische Ausleuchtung, die einschüchterte und kein allzu arrogantes Kunstpublikum, das einem den Spaß verderben konnte. Alles, einfach alles war an seinem richtigen Platz.

Die neue Heimat der c/o Berlin wird jetzt das Amerika-Haus von Architekt Bruno Grimmek in der Hardenbergstraße in Charlottenburg. Ein weiter Weg war es bis dahin. Erst sollten es die Monbijou-Ateliers in unmittelbarer Nähe des jetzigen Standorts werden. Die Betreiber der c/o freuen sich auf diesen Neuanfang.

Bye Bye Mitte... Closing Postfuhramt
Party am 9. März um 21 Uhr in der Oranienburger Straße 35/36

Im Freundeskreis haben wir nach Erinnerungsstücken und Abschiedsbriefen gefragt. Bella Lieberberg, Kai Müller und Christoph Voy haben uns ein paar Blumen geschickt.

Von Christoph Voy

Von Kai Müller

Von Bella Lieberberg
"Dieses Foto habe ich heimlich bei der Anni Leibovitz Ausstellung gemacht. Sie ist sehr besonders für mich - gerade ihre Anfänge. Ich war sehr oft in der c/o Galerie, kann mich gar nicht mehr an jede Ausstellung erinnern. Bei der Abschiedsparty kann ich leider nicht dabei sein, aber bei der Eröffnung im Westen. Bye Bye!" (Bella Lieberberg)

 

Martin Kippenberger: sehr gut | very good
"Kunst wird ja sowieso immer erst im Nachhinein betrachtet… Ich würde sagen, 20 Jahre ist der Zeitraum. Was dann die Leute noch von mir erzählen oder nicht erzählen werden entscheidet, ob ich gute Laune verbreitet habe oder nicht. Und ich arbeite daran, dass die Leute sagen können: Kippenberger war gute Laune!"

An diesem Sonntagvormittag heißt es Schlange stehen für gute Laune. Eine halbe Stunde dauert es, bis wir die Tickets für die Ausstellung von Martin Kippenberger in den Händen halten. Einen Mann, über den ich lesen konnte, dass er seinen Bierbauch wie eine Trophäe getragen habe, vom Leben nie genug bekam und die 80er Jahre so intensiv lebte als hätte er immer geahnt, dass ihm nur 44 Jahre bleiben. Vielversprechend.

Das Werk Martin Kippenbergers reicht von Skulpturen, Malerei, Installationen über Plakatgestaltung bis hin zu hunderten Zeichnungen auf dem Briefpapier des Hotels Chelsea in Köln, in dem er zwei Wochen kostenlos wohnen durfte, weil er eine Fußballwette gegen den Chef gewann und von da an selbst zur Geschichte des Hotels wurde. Mit viel intelligentem Witz und Furchtlosigkeit lauern in jedem Raum dieser Ausstellung Lacher. An den Wänden steht Er wollte nach oben aber er kam nur bis zur Mitte. Stimmt nicht ganz. Für jemanden, der so unbedingt rebellieren wollte wie Kippenberger und manchmal gar nicht wusste wogegen eigentlich, hat er es weit geschafft. Nach seinem Tod rissen sich Institutionen wie die Tate Modern um Retrospektiven.

Kippenberger ist kein Künstler im eigentlichen Sinne, nichts Klassisches lässt sich bei ihm finden. Aber es schien nur so aus ihm zu sprudeln, Wortwitz ("Du kommst auch noch in Mode!" Plakat zum Dialog mit der Jugend) und Ironie wie bei den gekreuzigten Fröschen hoch oben an der Wand kitzeln den Besucher. Seine Sucht nach Selbstdarstellung gibt uns ein selbstgezeichnetes Porträt, dass von zu viel von allem erzählt. Von so viel wie möglich in so kurzer Zeit wie möglich. Die riesigen Räume des Hamburger Bahnhofs sind rappelvoll gefüllt mit Plakaten, selbstgebastelten Bauwagen, Briefen, Skulpturen und auch Musik und fordern viel vom Besucher.

Nach einem Rundgang durch diese Ausstellung fühlt man sich ähnlich wie beim Ende eines so exzessiven Lebens wie dem von Kippenberger: erschöpft, aber glücklich. Eins plus mit Bienchen.

Martin Kippenberger: sehr gut | very good bis 18.August 2013
HAMBURGER BAHNHOF - MUSEUM FÜR GEGENWART
Invalidenstraße 50-51
Mo-Fr 10-18 Uhr (Do bis 20 Uhr), Sa-So 11-18 Uhr

Ausstellung Martin Kippenberger

Ausstellung Martin Kippenberger

Ausstellung Martin Kippenberger

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