Romeo und Julius – Welche Eigenschaften braucht ein Mann, um eine gute Affäre zu sein?

© Hella Wittenberg

In seiner Kolumne “Romeo und Julius” erzählt Autor Julius Geschichten von seiner Suche nach der Liebe in Berlin. Von schrägen Dates, gebrochenen und geheilten Herzen und der schimmernden Hoffnung, dass es den einen Romeo da draußen geben muss. Das ist Episode 2.

Ich sitze mit Freunden auf einer Bierbank im Rosengarten am Weinbergspark, als mein Handy neben dem Aperol Spritz in der Abenddämmerung aufleuchtet. „Hey cutie“ lese ich auf dem hellen Bildschirm und die zwei Worte verpassen mir ein kleines Grinsen ins Gesicht. „Krass, das mit Trump und dem FBI-Direktor, oder?“ fragt Linda von der Seite in meine Richtung, weil sie merkt, wie ich leicht abdrifte, aber ich bin mit Wichtigerem beschäftigt. „Hey handsome, fröhlicher Smiley“ tippe ich in mein iPhone und drücke auf Senden. Die Nachricht geht an Luis, einen Spanier, den ich vor 2 Monaten in einer verzweifelten Club-und-Nebel-Aktion kennengelernt habe, wobei Nebel hier für einen ordentlichen Alkoholpegel und den kumulierten Qualm einer kompletten Schachtel roter Gauloises steht.

Der wahrgewordene Deutsche-Bahn-Werbespot

Der Auslöser für die Aktion und für unser Kennenlernen war ein kleiner Moment am Nachmittag davor. Ich saß in einem ICE auf dem Rückweg aus der Heimat nach Berlin und beobachtete ein Paar auf der anderen Seite des Gangs. Die beiden sahen auf ihrem Laptop gemeinsam zwei Folgen Homeland, während ich alleine Netflix schaute. Sie teilten sich ein Schinken-Käse-Baguette aus dem Bordbistro, während ich eines alleine aß, und als Dessert hatten sie eine Milchschnitte und ich hatte keine. Später legte er seinen Kopf in ihren Schoß und während sie seinen Hinterkopf kraulte, schlief er ein und schnarchte ein bisschen durch den Waggon. Dieser wahrgewordene Deutsche-Bahn-Werbespot, dem ich über fünf Stunden aus dem Augenwinkel zusah, schaffte es, dass ich mich später in der Hauptstadt angekommen, unheimlich einsam fühlte. Also fuhr ich um kurz nach Mitternacht alleine zum queeren Neuköllner Club Schwuz. Auf der Suche nach meinem eigenen Kopfkraulgefühl.

Mein lückenhaftes Flashback

Heute kann ich mich nicht mehr an alles erinnern, was in dieser Nacht passiert ist. Ich mag es nicht, alleine auszugehen und deswegen habe ich bei solchen Nächten nicht nur den Satz „Meine Freunde sind schon abgehauen und ich wollte noch ein bisschen tanzen“ fest einstudiert, ich trinke auch zu viel. Also hatte ich in dieser Nacht bestimmt vier Gin Tonics, die ich jeweils mit Berliner Luft Shots zahnärztlich nachspülte. Und obwohl mir Berliner Luft vor allem dabei hilft, in meiner Verkopftheit aufzuatmen, schnitten die Shots meine Erinnerung nach 2 Uhr gründlich in Scheiben. Woran ich mich noch erinnern kann, sind diese Fetzen: Ich tanze auf dem größten Floor des Clubs. Zu Lady Gaga, Britney und ESC-Gewinnern, deren Songs jeder und Namen niemand kennt. Ich sehe Luis. Er kommt auf mich zu. Wir tanzen. Wir küssen uns auf der Tanzfläche. Wir küssen uns an der Bar. Wir küssen uns im Raucherbereich. Wir verlassen den Club und reden. Ich nenne ihn ganz selbstverständlich David, wahrscheinlich, weil ich davon überzeugt bin, dass mein zukünftiger Ehemann so heißen wird. Er macht mich darauf aufmerksam, dass er nicht David, sondern Luis heißt. Peinlich-berührt drehe ich den Spieß um und behaupte er hätte David und nicht Luis gesagt. Ach nein, er meinte sicher, dass er einen Bruder hat, der David heißt. Er sagt, dass er keine Geschwister hat. Wir sitzen in der Bahn, dann in einem Bus. Ich frage ihn, wo uns der Bus hinbringt. Er sagt Steglitz. Wir kommen im Studentenwohnheim an, in dem er ein Zimmer hat und er sagt, dass ich bitte leise sein soll. Ich stolpere laut. Ich rede laut. Bett. Kondom. Sex. Laut. Ich schlafe ein.

Wir tanzen. Wir küssen uns auf der Tanzfläche. Wir küssen uns an der Bar. Wir küssen uns im Raucherbereich.

Am nächsten Tag scanne ich sein Zimmer im Wohnheim und den Arm, der auf meinem Brustkorb liegt und es geht mir trotz Kopfschmerzen gut. Auf meine Menschenkenntnis kann ich mich auch alkoholisiert verlassen und ich wache nicht neben einem Serienmörder auf, was ein Szenario ist, dass ich mir, mediengeschädigt und narzisstisch, häufig vorstelle, sondern mit einem netten Studenten, der nette Geburtstagskarten auf dem Schreibtisch hat. Nach dem Aufwachen kuscheln wir ausgiebig, er kocht Nudeln mit Pesto und erzählt, warum er in Berlin ist, und ich merke, dass er intelligent und wesentlich intellektueller ist als ich. Am Abend verlasse ich das Studentenwohnheim wieder und brauche eine Stunde nach Hause. Seit diesem Tag schreiben wir uns häufig und treffen uns selten.

Zurück auf der Bierbank

Heute, erkläre ich Linda, die mittlerweile von einer allgemeinen Rezension des Thomas Azier Albums mit mir in ein Zweiergespräch gewechselt ist, kommt Luis vorbei, wenn bei mir der Strom ausfällt, im übertragenen Sinne, was die Liebessuche angeht. Wenn ich im Dunkeln sitze, weil kein neuer Mann, der mich begeistert und zittrig macht, am Datinghimmel steht und ich nur mit der Taschenlampe Bücher lesen könnte, was ich nicht gerne mache und auch nie heimlich als Kind gemacht habe. Er ist ein Notfallgenerator, der in diesen Single-Momenten anspringt, mich in den Arm nimmt und mir eine Geschichte vorliest. Und wenn er nicht vorbeikommen kann, schickt er mir eine Nachricht auf mein iPhone und lässt mich so nicht im Dunkeln alleine sitzen. Und manchmal schreiben wir uns, auch, wenn der Strom da ist.

Er ist ein Notfallgenerator, der in diesen Single-Momenten anspringt, mich in den Arm nimmt und mir eine Geschichte vorliest.

„Das ist perfekt“, sagt Linda. „Bei Typen, die wir richtig gut finden, spielen wir so viele Spiele. Bei ihm schreibst du einfach das, was du möchtest.“ „Das ist Eigenschaft 1, warum das funktioniert“ sage ich. Luis und ich finden uns zwar gut, aber keiner von uns beiden erwartet ein Happy End mit Feuerwerk, tiefen Gesprächen und Strand-Hochzeit. Wir schreiben locker, schenken uns Komplimente und ziehen uns gegenseitig ein bisschen auf, ehrlich, ohne Filter und ohne den anderen damit zu verletzen. Dafür sind wir uns zu unwichtig. Das klingt hart, aber es ist unheimlich befreiend. Linda weiß, wovon ich spreche. Auch sie hatte einen Ersatzspieler, wie sie diese Männer als Fußball-Fan nennt, bis sie merkte, dass er doch lieber zur festen 11 gehören würde. Und weil sie weiß, wie schmerzhaft das ist, wenn einer mehr will als der andere, ließ sie ihn direkt ohne Verlängerung gehen und zu einem Verein wechseln, der ihn eher auf dem Platz sah.

Als Linda sich an der Bar anstellt, um uns eine neue Runde Aperol zu holen, blinkt mein Handy wieder auf. „What are you doing later?“ fragt Luis mit diesem einen verschmitzten Smiley am Ende, das so viel aussagt, wie kein anderes Emoticon.

„Wanna come over?“

„Yes!“

Mein Bauch ist sein Bauch

Drei Stunden später begrüße ich meinen Spanier in Boxershorts und T-Shirt und mit einem intensiven Kuss an der Tür. Direkt greift er zu meinem T-Shirt und ich greife nach seinem. Und während er meinen Bauch betrachtet und ich seinen, weiß ich, was Eigenschaft 2 ist, die uns so einfach miteinander funktionieren lässt. Wir beide sind in einer Welt voller Instagram-Perfektheit wunderbar unperfekt. Wo ich einen Bauch habe, hat er einen Bauch, wo ich kleine Pickel am Rücken habe, ist er behaart. Meine körperlichen Makel, die mich zwischen Tinder-Sixpacks unsicher machen, sind mir bei ihm nicht wichtig, weil ich projiziere, dass er genauso unsicher ist wie ich, auch, wenn das gar nicht stimmen muss. Bei ihm lasse ich mich gerne in der Küche ausziehen, ohne, dass ich darüber nachdenke, ob die Lichter unvorteilhaft sind. Wir haben an diesem Abend keinen Sex, weil ich mich nicht danach fühle, aber viel Doktor-Sommer-Vorspiel. Wir führen keine Diskussion darüber, warum und ob nicht doch. Auch hier sind wir auf demselben Level.

Nachdem er meine Wohnung am nächsten Morgen nach einem schönen Frühstück im Bett und einem noch schöneren Kopfkraulen verlassen hat, meldet sich Luis ein paar Tage später wieder. „I think I’ll have to move after this semester. Trauriger Smiley“ heißt es in der WhatsApp-Vorschau. „Fuck“ fährt es durch meinen gesamten Körper. Die Nachricht nimmt ihm die dritte und wichtigste Eigenschaft als guter Ersatzspieler: Er war einfach da.

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