Lebensort Vielfalt – Die etwas andere Wohngemeinschaft in Berlin

© Kerstin Musl

Wohngemeinschaften gibt es unzählige in Berlin. Aber diese hier ist in vielerlei Hinsicht anders. Ich habe den Lebensort Vielfalt besucht, mit dem Leiter und den Bewohnern gesprochen und mich mal ein wenig umgesehen an diesem besonderen Ort. Denn hier finden sich unter einem Dach Privatwohnungen, ein Café mit Veranstaltungsprogramm, eine Bibliothek, eine Pflege-Wohngemeinschaft und eine Schwulenberatung. Das Haus bietet damit einen sicheren und freien Lebensraum für schwul-lesbische Bewohner jeden Alters, ob mit oder ohne Pflegebedarf und fungiert als Treff- und Austauschort für die queere Szene und alle, die sich ihr nahe fühlen.

Das Gebäude befindet sich in einer ruhigen Seitenstraße am U-Bahnhof Wilmersdorfer Straße. Man tritt durch eine Glastür ein und ist sofort mittendrin im Geschehen. Rechts befindet sich die Anmeldung der Schwulenberatung, links die Bücherei Andersrum. Mit ihren 5.000 Büchern, ist sie eine der größten Leihbibliotheken der queeren Community Deutschlands und beinhaltet eine riesige Auswahl an Literatur und DVD's. Geradeaus befindet sich der Eingang zum "Wilden Oscar",  dem Theater, Café und Restaurant, das als Treffpunkt für die queere Community und die regelmäßigen Veranstaltungen berühmt berüchtigt ist.

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Das Haus ist in seiner Art einzigartig in Europa

Dr. Marco Pulver empfängt mich herzlich und führt mich durchs Haus. Er erzählt mir von der Entstehungsgeschichte und dem langen Kampf für das Haus. Ich lausche und bin begeistert. Dieses Haus ist in seiner Größe und seiner Vielfältigkeit einzigartig in Berlin, einmalig in Europa. Mehr als sechs Jahre vergingen von der Idee, bis über die Planung, bis hin zur endgültigen Fertigstellung. Und es hat sich gelohnt: die 24 Privatwohnungen und die Pflege-Wohngemeinschaft mit 8 Personen sind alle vergeben und auf der Warteliste drängeln sich 370 Anwärter. Die Auswahlkriterien sind streng, die Generationenmischung ist bewusst gewählt: 60 Prozent der Bewohner sind schwule Männer über 55, 20 Prozent unter 55 und die restlichen 20 Prozent sind für lesbischen Frauen reserviert.

© Kerstin Musl

Das Grundprinzip dieses besonderes Hauses ist sehr einfach und auch sehr schön: Einen sicheren Lebensraum für Menschen schaffen, die anders sind und anderswo oft unter Diskriminierungen und Beleidigungen leiden müssten. Hier können sie so sein wie sie sind und müssen sich nicht verstecken. Die Wohnungen haben zwischen 1-4 Zimmer und die meisten Bewohner sind noch berufstätig. Die Wohngemeinschaft jedoch wird von einem 24-Stunden-Pflegedienst und einem Mitarbeiter der Schwulenberatung betreut.

© Kerstin Musl
© Kerstin Musl

Pete Sibley war einer der Ersten, der in die Wohngemeinschaft einzog und immer noch dort lebt. Der gebürtige Engländer ist beruflich früher viel zwischen London und Hamburg gependelt und hat seinen Job als Sprachwissenschaftler mit Leidenschaft ausgeübt. Er war immer viel unterwegs – bis er einen Schlaganfall erlitt und seine linke Körperhälfte stark beeinträchtigt war. Daraufhin hat Pete nach Wohnmöglichkeiten gesucht – "so schwul wie möglich", das war ihm das Wichtigste. Pete fand in diesem Mehrgenerationenhaus seine Wohlfühloase und er genießt mittlerweile auch einen gewissen Bekanntheitsstatus.

© Kerstin Musl

Auch sonst ist die Mischung im Haus sehr bunt. Ärzte, Künstler, Dichter, Fleischer, zwischen 24 und 80 Jahre alt - alle unter einem Dach. Aber man darf sich das Haus nicht wie eine Regenbogen-Kommune vorstellen, sondern eher wie ein Projekt nachbarschaftlichen Wohnens, wo man nicht nur nebeneinander lebt, sondern sich auch umeinander kümmert und füreinander da ist. Anfeindungen von draussen gibt es nicht, das Verhältnis zu den anliegenden Nachbarshäusern ist super. Auch sonst sind die Probleme im Haus die gleichen wie anderswo: Die eine Nachbarin bringt sich zu wenig ein, der eine unter ihr raucht soviel, dass es ihr ins Zimmer zieht.

© Marco Pulver
© Kerstin Musl

Es gibt einen wunderschönen Garten mit riesigen Kirschbäumen, die im Sommer mit reichlich Kirschen bestückt sind, die man wunderbar direkt von der großen Terrasse aus naschen kann. Es wird sehr darauf geachtet, dass die Mitbewohner im Haus die Möglichkeit auf Gesellschaft haben und hat tolle, helle Gemeinschaftsräume erschaffen. Es herrscht eine besondere Stimmung in diesem Haus und ich bin ganz kribbelig, als ich es verlasse. Es war schön anzusehen, wie sehr sich die Mitbewohner hier frei fühlen und einfach glücklich sind. In diesem Haus ist in jedem Detail ein bisschen Liebe versteckt – und sei es nur durch eine Regenbogenfahne im Blumentopf oder den Federn an den Bilderrahmen.

© Kerstin Musl

Aufgrund der großen Nachfrage ist schon ein weiteres Wohnhaus geplant, es soll sogar etwas größer werden als dieses Haus hier in der Niebuhrstraße. Die Verhandlungen laufen schon und die Entscheidung fällt Ende diesen Jahres. Wir drücken die Daumen!

Weitere Infos und Anmeldungen für einen Wohnplatz in dem Haus in der Niebuhrstraße 59/60 laufen über diese E-Mail Adresse: [email protected]

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