Kämpfen fürs Kopftuch: So revolutioniert die Berliner Boxmeisterin den Sport!

© Constantin Vider

Sportlich war Zeina Nassar, seit sie denken kann – Basketball, Fußball, Volleyball – doch als sie im zarten Alter von 13 ein Video von Frauen beim Boxtraining sah, wusste sie, was sie wirklich wollte. Diese Power, dieses Selbstbewusstsein, für sie war das Video eine echte Inspiration. Bereits nach dem ersten Besuch einer Berliner Trainingshalle waren für den Teenager sämtliche Zweifel fort. Jetzt galt es nur noch, die Eltern zu überzeugen. Die waren natürlich schockiert: ein Mädchen im Boxsport? Zu gefährlich, viel zu aggressiv! Und geht das überhaupt? „Aber ich hatte mir die Sache in den Kopf gesetzt. Ich habe schon immer für Dinge gekämpft, die ich machen wollte“, sagt Zeina und lacht. „Ich habe mich quasi durchgeboxt.“ Das kann man wohl sagen. Inzwischen ist Zeina Nassar 19 Jahre alt, Studentin der Soziologie und Erziehungswissenschaft und dreifache Berliner Meisterin im Boxen.

Ich habe schon immer für die Dinge gekämpft, die ich machen wollte.
Zeina Nassar

In der Klasse „unter 18" hatte sie zuletzt Probleme, Gegnerinnen zu finden. Wenn sie hörten, dass sie gegen Zeina kämpfen sollten, sprangen sie einfach ab. „Entweder war ich ihnen zu stark. Oder sie hatten bereits gegen mich gekämpft und verloren“, sagt Zeina. Neun Siege hat die Tochter libanesischer Eltern bei zehn offiziellen Kämpfen errungen. Und das sind nur die sportlichen Erfolge. Für sie und ihre Trainerin wiegen andere Siege mindestens genauso viel, denn: Zeina Nassar ist die erste Boxerin Berlins, die mit Kopftuch kämpft.

Darüber hatte sie sich vorher nie Gedanken gemacht. „Schon beim Basketball gab es mitunter schiefe Blicke und Kritik. Es mussten auch manchmal Kleidungsregeln geändert werden, damit ich in Leggins und mit Longsleeve unterm Trikot und mit Kopftuch spielen durfte“, sagt sie, „aber beim Boxen bekam das alles ganz andere Dimensionen.“ Wenn Zeina nur mit Frauen trainiert, dann verzichtet sie auf das Kopftuch. Aber weil bei Wettkämpfen immer auch Männer anwesend sind, zieht sie es vor, das Kopftuch zu tragen. „Klar, am Anfang haben mich viele schief angesehen und sich gefragt, was das soll“, sagt Zeina. Es habe viele stumme Blicke gegeben aber auch ehrlich gemeinte Fragen und Interesse.

Wenn man mich einmal beim Boxen erlebt hat, weicht der Zweifel und es gibt fast immer Lob, Anerkennung und Respekt.
Zeina Nassar
© Constantin Vider
© Constantin Vider

„Es ist manchmal so, als würde man mir nicht nur weniger zutrauen, weil ich eine Frau bin, sondern quasi doppelt so wenig, weil ich eben auch noch Kopftuch trage“, sagt Zeina. „Aber wenn man mich einmal beim Boxen erlebt hat, weicht der Zweifel und es gibt fast immer Lob, Anerkennung und Respekt.“ Um an diesen Punkt zu kommen, musste sie allerdings einige Hürden überwinden, Wege ebnen und Grenzen überschreiten. Gemeinsam mit ihrer Trainerin kämpfte sie für eine Änderung der Wettkampfregeln – und zwar bundesweit. Sie hat sich durchgesetzt. Heute erlauben die Wettkampfregeln eine Boxkluft im engen Sleeve, Leggings und Kopftuch. „Wieso auch nicht? Die meisten Frauen tragen unter ihrem Kopfschutz ein Tuch oder ähnliches und generell habe ich dadurch eher einen Nachteil, weil ich mehr Kleidung am Körper trage.“

Ihre Eltern sind ihre größten Fans und Unterstützer. „Wir stammen aus dem Libanon und sind Muslime. Aber meine Eltern sind in keiner Weise konservativ. Als ich ihnen erzählte, dass ich Boxen wollte, hatten sie anfangs zwar Angst, jetzt sind sie unbeschreiblich stolz“, sagt Zeina. Bis vor Kurzem wohnte sie noch Zuhause, nun ist sie ausgezogen. Die Familie sieht sich allerdings oft, und obwohl die Eltern mittlerweile nicht mehr zu all ihren Kämpfen kommen, fiebert die gesamte Familie mit – bis in den Libanon. Nach jedem Sieg schickt die Soziologiestudentin ihrer Mutter ein Bild, „aber es dauert dann vielleicht eine halbe Stunde, bis meine Familie – auch die im Libanon – genau dieses Bild bei Whatsapp hat.“ Das sei ein tolles Gefühl.

Derzeit studiert Zeina in Potsdam Soziologie. Zum Wintersemester 2017 würde sie jedoch gerne das Fach wechseln und Sporttherapie und Prävention studieren. Und da wartet bereits die nächste Hürde: Für die Aufnahmeprüfung muss man sich in den Disziplinen Leichtathletik, Ballsport, Gymnastik/Tanz, Turnen und Schwimmen beweisen. Auch Letzteres ist für Zeina nur mit Kopftuch und Ganzkörperbekleidung denkbar – aber ob die Universität das zulässt, ist noch nicht klar.

„Scheinbar gab es dort noch niemanden, für den das wichtig war. Vielleicht hat sich aber auch noch niemand getraut, sich mit Kopftuch zu bewerben“, sagt Zeina. „Das fällt mir generell auf: Mädchen und Frauen mit Kopftuch gibt es in allen Sportarten. Im Basketball nimmt das zum Beispiel auch bei Turnieren zu. Aber beim Boxen tritt in Berlin steigt außer mir niemand mit Kopftuch in den Ring. Mich wundert, dass ich im 21. Jahrhundert die Erste bin, die gegen diese gesellschaftlichen und teils rassistischen Windmühlen ankämpft.“

© Constantin Vider
Mich wundert, dass ich im 21. Jahrhundert die Erste bin, die gegen diese gesellschaftlichen und teils rassistischen Windmühlen ankämpft.
Zeina Nassar

Was den Sport angeht, weiß Zeina ganz genau, was sie sich für die Zukunft wünscht: „Ich würde gern bei den deutschen Meisterschaften antreten. Vergangenes Jahr ging das leider aus beruflichen Gründen nicht.“ Denn Zeina ist nicht nur Boxerin und Studentin, sondern spielt auch am Maxim Gorki Theater. Auch dort natürlich mit Kopftuch. „Ich will einfach zeigen, dass ich ein Mensch bin, der alles schaffen kann, wie jeder andere auch. Das Kopftuch ist doch nur Ausdruck meines Glaubens. Es definiert mich nicht als Person und macht auch nicht meine Talente aus.“

© Constantin Vider

Auch sonst hat die Berlinerin große Ziele: „Ich will, dass es normal wird, als Frau und mit Kopftuch jede Sportart auszuüben, auf die man Lust hat. Ich will, dass die schiefen Blicke aufhören, die Vorurteile, die Zweifel. Und ich wünsche mir, dass ich mich nicht andauernd rechtfertigen und erklären muss“, sagt Zeina. „Ich bin eine gute Sportlerin, egal wie ich mich kleide.“ Das haben inzwischen auch Medien und Sponsoren begriffen: Neuerdings hagelt es geradezu Anfragen für Drehs, Kooperationen und Interviews. Zeina erhofft sich davon vor allem eins: „Mehr Toleranz.“ Und die können wir aktuell alle mehr denn je gebrauchen.

Das Kopftuch ist doch nur Ausdruck meines Glaubens. Es definiert mich nicht als Person und macht auch nicht meine Talente aus.
Zeina Nassar
Zurück zur Startseite