Wir sind die zweite Generation Prenzlschwaben

Die Prenzelschwaben, laut Tagesspiegel die "Speerspitze der Gentrifizierung", haben nach wie vor keinen leichten Stand. Nicht nur, dass sie als Mietpreistreiber gelten und angeblich mit dem Porsche-Geländewagen zum Bioladen um die Ecke fahren. Ihre eher konservative, provinzielle Mentalität findet Berlin als vielseitige, alternative und improvisierfreudige Hauptstadt nach wie vor, naja, "ned so gut".

Damals, vor gut zehn Jahren, kamen sie aus Schwäbisch Gmünd, Stuttgart oder Pforzheim nach Berlin, um hier "irgendwas mit Medien" zu machen. Die vagen Träume, die sie während ihres Soziologiestudiums hatten, haben sie in eine profitable Karriere verwandelt und bewiesen, dass sie mit ihrem "brotlosen Studienfach" (O-Ton ihrer Eltern) nicht hinter dem Steuer eines Taxis gelandet sind. Mittlerweile haben sie sich in Berlin fast eine Art Subkultur geschaffen, leiten erfolgreich Werbeagenturen, Online-Magazine, Plattenlabel oder geben Achtsamkeitskurse. Ihren Flat White trinken sie ungern “to go”, wegen Work-Life-Balance, klar. Und vielleicht würden sie es nicht von sich selbst behaupten, aber sie sind hier ziemlich angekommen.

Zeit also, sich nach Nachfolgern umzuschauen. Was machen die kleinen Schwestern und Brüder der “Ersten Generation Prenzelschwaben”? Sind die genauso oder ganz anders? Denn ich glaube ja, es gibt eine zweite Welle. Und das sage ich nicht nur, weil ich aus einer südwestdeutschen Kleinstadt komme und jetzt in Berlin irgendwas mit Medien mache.

Was machen die kleinen Schwestern und Brüder der “Ersten Generation Prenzelschwaben”?

Die coolen Mädchen und Jungs aus der Oberstufe, die wir damals angeschwärmt haben, sind heute unsere Chefinnen und Chefs. Sie haben die Provinz ein paar Jahre vor uns verlassen und uns den Weg geebnet. Sie haben Unternehmen gegründet, Berufe erfunden und Arbeitsplätze geschaffen. Wir im Gegenzug müssen uns nur noch entscheiden, für welche Bewerbung wir zuerst eine Absage bekommen möchten, weil wegen der großen Nachfrage alle interessanten Praktikumsplätze bis 2017 schon vergeben sind.

Wegen der großen Nachfrage sind alle interessanten Praktikumsplätze bis 2017 schon vergeben.

Die Medien allerdings, für die wir heute arbeiten oder arbeiten wollen, sind meistens digital, aber noch öfter sozial. Neben etablierten Adressen wie dem YouTube-Lab finden sich in Berlin auch immer mehr Social-Media-Startups. Wer da grade frisch sein Studium an der Hochschule der Medien in Stuttgart abgeschlossen hat, hat die Wahl: Erstmal im gemütlichen, aber unglamourösen Kessel bleiben oder noch ein letztes Mal zum Brezelkörble auf der Königsstraße und dann ab in die Metropole.

In Berlin gelandet ist erstmal klar: Auf keinen Fall in den Prenzlauer Berg ziehen. Gerne nach Neukölln oder Friedrichshain, Moabit, Treptow – Hauptsache nicht so viel schwäbische Ordentlichkeit. Der Freundeskreis ist genauso bunt gemischt wie die Lebensläufe und wie für die meisten Zugezogenen zwischen Anfang 20 und Mitte 30 ist Berlin eine Zwischenstation, nicht der Endbahnhof. Dass man bei der hohen Fluktuation auch mal jemandem aus dem Nachbarort trifft, ist nett, aber mehr auch nicht. Denn es geht nicht mehr um das Erschaffen einer zweiten Heimat oder um den Export tradierter Muster und Werte. Im Gegensatz zu unseren Vorgängern rund um den Kollwitzplatz sind wir offener für neue Einflüsse (no offense!), verändern uns mit der Umgebung und weil Berlin dynamisch und divers ist, sind wir es auch (gut für die nächste Praktikumsbewerbung!).

Auf keinen Fall in den Prenzlauer Berg ziehen. Gerne nach Neukölln oder Friedrichshain, Moabit, Treptow – Hauptsache nicht so viel schwäbische Ordentlichkeit.

Die Berliner Schwabenblase interessiert uns nicht mehr. Wir sind nach all den Jahren des Schwabenbashings froh, wenn unsere Herkunft nicht zur Sprache kommt, aus Angst, das Gegenüber rolle sofort innerlich mit den Augen. Außerdem können wir mittlerweile Hochdeutsch. Naja, also manche. In Zeiten, in denen jeder mal den Studienort wechselt, mal im Ausland lebt und dann noch ein Sprachtandem mit einem Austausch-Student aus Tel Aviv macht, schleift sich das unverkennbare Schwäbisch langsam ab. Nach ein paar Jahren Dialektmetamorphose gehen wir dann für ungeübte Ohren schon fast als Hessen durch.

Es gibt also Hoffnung. Wir finden säuberlich sanierte Altbaufassaden ohne Graffiti zwar auch ganz hübsch, wohnen aber dann doch lieber in Kreuzkölln. Wir essen Brezeln mit Hummus. Und ja, richtig gutes Laugengebäck gibt es wirklich nur zu Hause, aber das ist gar nicht mehr so wichtig. Wir sind Post-Prenzlauer Berg und eigentlich gar nicht so anders wie, äh, als die anderen.

prenzelschwaben


Titelfoto: Screenshot "Shit Prenzelschwaben Say"

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