Wie wir durch Airbnb echte Gastfreundschaft verlernen

Alle lieben Airbnb. Oder zumindest die ursprüngliche Idee davon: Die Einfachheit und Selbstverständlichkeit, mit der man auf Reisen einen Ort von einer viel intimeren Seite kennenlernen darf, als es uns ein Reiseführer je vermitteln kann. In Berlin unterliegen wir mittlerweile einer strengen Reglementierung, die das Anbieten seiner eigenen vier Wände für die meisten nicht mehr ganz so einfach gestaltet. Als Reisende finden wir es aber weiterhin aufregend und genießen es, in einem unbekannten Land mit vielen fremden Menschen das Gefühl zu bekommen, ein Teil zu sein. Ein Teil sein, macht eine einfache Erfahrung zu einer ganz anderen, sehr viel bedeutsameren. Kommt man von einer Reise zurück, kann man guten Gewissens sagen: "Ich habe das Land und seine Menschen erlebt".

Hat man das Glück auf besonders ambitionierte Gastgeber zu treffen, kann man vielleicht sogar von dem einen oder anderen gemeinsamen Abendessen oder Bierchen in der Szenebar erzählen. Ein Selfie geschossen und schon sind wir auch für die Daheimgebliebenen nachweislich Einheimische im Urlaubsland - für die Facebook-affinen Selbstdarsteller unter uns von identitätsstiftender Bedeutung. Und vielleicht ist man danach sogar tatsächlich um eine Begegnung mit ein paar interessanten Menschen reicher und im besten Fall schließt man sogar eine neue Freundschaft. Denn Fremde sind schließlich nur Freunde, die wir noch nicht getroffen haben. Airbnb macht also das Naheliegendste auf der Welt für uns: Es stellt uns unseren neuen Freunden vor, beschafft uns eine Unterkunft und lässt uns "nicht als Tourist fühlen", auch wenn man zweifelsfrei einer ist.

Hätte ich nicht vor Airbnb-Zeiten einfach so auf ihrer Couch übernachten können?

Bei meiner letzten Reise jedoch ist mir ein kleiner Haken an der ganze Sache deutlich spürbar geworden. Anfangs war es nur ein Beigeschmack bei einer Unterhaltung, die ich mit Freunden über meine bevorstehende Reise führte. Beim gemeinsamen Abendessen erfuhr ich, dass die Schwester einer Freundin seit vielen Jahren auf einer pazifischen Insel lebt, eines meiner potentiellen Reiseziele. Nachdem sie stolz von dem beneidenswerten Leben in der exotischen Wahlheimat ihrer Schwester und ihren eigenen, mehrfachen Aufenthalten dort erzählt hatte, fügte sie flink hinzu: "Sie vermieten auch über Airbnb."

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Das empfand ich zunächst nicht als ungewöhnlich und es fiel mir nicht weiter auf. Erst als wir längst über etwas anderes sprachen, merkte ich, dass mir irgendwas daran nicht gefiel. Hätte man vor 5 Jahren nicht einfach den Kontakt zur Schwester hergestellt? Hätte ich nicht vor Airbnb-Zeiten einfach so auf ihrer Couch übernachten können? Ich fragte mich das nicht, weil ich finanziell davon profitieren wollte, einfach, weil ich es von früher so kannte. Dieser Beigeschmack sollte sich während meines Reisens zu einem handfesten Gefühl entwickeln.

Kapital vs. Gastfreundschaft

Es blieb kein Einzelfall, dass Gespräche mit Menschen, die Verwandte oder Freunde im Ausland haben, ähnlich endeten. Auch direkte Bekannte, die ich anschrieb, weil ich am nächsten Wochenende in ihrer Stadt sein würde, zeigten sich ähnlich verhalten. Denn Airbnb hat unsere Gesellschaft verändert, wenn auch nur um ein kleines, kaum wahrnehmbares Stück. Neben der viel diskutierten Gentrifizierungsproblematik, die das Konzept Airbnb zweifelsohne mit sich bringt, eröffnet sich nämlich mit der Privathotel-Kultur auch diese gesellschaftlichsethische Dimension. Es kapitalisiert unsere Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft und macht aus Gastgebern Dienstleister und aus Beherbergten Kunden. Deswegen ist es eben überhaupt nicht mehr selbstverständlich, privaten Wohnraum quasi als Gefälligkeit anzubieten, das ist Kapital! Verschenkt man dieses, macht man Verlust.

Wohnung ist Kapital, Gastfreundschaft ist Kapital, über Discounts kann man reden.

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Davon sprach doch tatsächlich ein Bekannter, den ich bei einem Yoga Retreat auf Thailand kennengelernt hatte. Nach einer Woche gemeinsamer Meditation, Asanas und Fokussierung auf die wichtigen Dinge des Lebens, kontaktierte ich ihn kurze Zeit später, um meinen Besuch in seiner Heimatstadt anzukündigen. Ohne dass ich auch nur gefragt hätte, ob ich bei ihm unterkommen könnte, erklärte er mir, dass er ja seine Wohnung anbieten, bei meinem zu erwartendem Budget jedoch Verlust machen würde. Es versteht sich von selbst, dass ich ihm diesen existenziellen Verlust ohnehin nicht hätte zumuten wollen. Er braucht das Geld, wie sonst hätte er sich sein 1. Klasse Ticket von Los Angeles nach Bangkok auch leisten sollen.

Was ist aus dem "Herberge bieten" geworden?

Besonders spannend finde ich hier seine Perspektive auf die Situation und seinen kompromisslosen Geschäftssinn, der ihn zwischen Freunden, Bekannten und Unbekannten nicht unterscheiden lässt. Für ihn ist die Sache ein Geschäft, auch wenn er einen Beruf hat und weitaus mehr Geld, als er zum Leben braucht. Wohnung ist Kapital, Gastfreundschaft ist Kapital, über Discounts kann man reden.

Man stelle sich einmal vor, die Jungs in der Weihnachtshütte hätten damals zu Maria und Joseph gesagt, als sie um ein Unterkunft baten: "Ey sucht euch doch 'n Airbnb."

Ich frage mich, was aus dem guten alten Gefallen geworden ist, aus altruistischer Gastfreundschaft und auch aus der zugegebenermaßen verstaubten, aber doch so rührenden Redewendung "jemandem eine Herberge bieten". Man stelle sich einmal vor, die Jungs in der Weihnachtshütte hätten damals zu Maria und Joseph gesagt, als sie um ein Unterkunft baten: "Ey sucht euch doch 'n Airbnb." Jesus wäre womöglich nie geboren worden, hätte uns nicht retten und für unsere Sünden sterben können, nicht auszudenken.

Natürlich sind Menschen von heute, vor allem solche, die reisen, in der Regel weniger von existenziellen Nöten getrieben, als es die Eltern von Jesus damals waren. Und das Wort Herberge ist sicherlich auch nicht ohne Grund verstaubt, denn fast niemand muss heute auf der Straße schlafen. Sicherlich ist es auch nur fair, dass Menschen, deren größtes Problem sich auf die Frage beschränkt, ob sie sich das reiche oder nur mittelreiche Viertel leisten können, sich an Kosten beteiligen, wenn sie bei Fremden übernachten. Schließlich zahlt der Gastgeber auch seine Miete und Kosten für Wasser, Strom und dergleichen. Dass es aber als Verlust betrachtet werden kann, wenn man jemandem ein Bett bietet ohne dafür zu kassieren, ist irgendwie schade! So viel Sinn das Konzept in einer globalisierten Welt auch machen mag, so hat das Ganze eben auch diese traurige Seite, die das Anbieten von einer Gefälligkeit zu etwas weniger Selbstverständlichem macht.

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Wie du mir, so ich dir

Auch ich bemerke, wie ich meine Verhaltensweisen anpasse. Allein aus Freude an der überwiegend angenehmen und oftmals auch inspirierenden Gesellschaft anderer hatte ich bisher noch immer und mit Überzeugung auch weiterhin ein Bett, eine Couch oder auch nur eine Luftmatratze für meine Freunde, Bekannte und Freunde von Freunden. In der Regel bin ich auch schnell dabei, meine Wohnung anzubieten. Neulich allerdings, als ich mich mit meiner derzeitigen Airbnb-Gastgeberin unterhielt, spürte ich an dieser Stelle starken Widerstand in mir. Sie erzählte mir von ihrer bevorstehenden Hochzeitsreise in Südfrankreich und von der Überlegung auch einen "Abstecher" nach Deutschland zu machen (für Amerikaner tatsächlich nur eine kleine Detour). Instinktiv, dachte ich, "Hey, klar, cool, kommt doch vorbei wir haben Platz und 'ne tolle Schlafcouch." Es fühlte sich aber seltsam an, ihr meine Couch anzubieten, während ich bei ihr 100 Euro die Nacht bezahlte für ein Bett, ein Handtuch und eine warme Dusche. Ich denke auch sie hätte es sicherlich als unangenehm empfunden. Ich schluckte die Worte also wieder herunter und seither stecken sie in meinem Bauch.

Ich werde vermutlich weiterhin Airbnb auf Reisen nutzen, aber ich werde auch weiterhin meine Couch.

Wir haben das Thema gewechselt und sind zu ihrem Lieblingsrestaurant gefahren, ob als Freunde oder Geschäftspartner, war mir in dem Moment egal. Wir hatten einen lustigen Abend und bis zum Ende meines Aufenthalts eine wirklich tolle Zeit zusammen. Ich durfte für ein paar Tage in eine andere Welt eintauchen, eine ganz andere Lebensweise kennenlernen und bin dankbar über diese bereichernde Erfahrung, die mir ein Hotel sicherlich nicht hätte bieten können. Ich werde vermutlich weiterhin Airbnb auf Reisen nutzen, aber ich werde auch weiterhin meine Couch anbieten. Vielleicht ein bisschen in der Hoffnung, dass es auch andere zumindest als mögliches Konzept wieder in ihre Denkmuster aufnehmen.


Geschrieben von Vanessa Kincses.

Fotos: Titel: © Tim Franklin/flickrCC, Screenshot: taz+belly/flickrCC, Zimmer: © Tommypjr/flickrCC Local: © Kevin Krecji/flickrCC

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