Unerfüllte Liebe ist ein mieses Schwein und macht trotzdem süchtig

Dass Clint Lukas weiß, wie man gute Kurzgeschichten schreibt, muss er niemandem mehr beweisen. Ohne Umschweife packt er seine Themen an, bringt auf den Punkt, um was viele andere herumtanzen. So richtig versteht man manche Texte aber erst, wenn man sie von Clint selbst gelesen hört. Der Typ meint das alles gar nicht so böse.

Sein neuestes Buch Nie wieder Frieden ist gerade im periplaneta Verlag erschienen und versammelt grandiose Erzählungen à la Clint. Das wohl Beste an diesem Buch: die beiliegende Audio-CD. Hier könnt ihr schon mal reinlesen.


 

Aus dem Kapitel "L'Èducation sentimentale"

Es war irgendwann nach Zweitausend und ich war achtzehn und liebte Maria, aber Maria wollte sterben und bat mich ständig, dass ich sie umbringen möge.
„Erschieß mich“, sagte sie. „Wenn du mich liebst, erschieß mich.“
Aber ich erschoss Maria nicht, weil ich sie liebte. Das war egoistisch, ich weiß.

Maria war unglücklich wegen eines Typen, so sagte sie es, Tobi hieß er. Dabei war es das Leben, das sie nicht ertrug. Morgens wachte sie auf und fing an zu flennen und wollte tot sein, aber sie war ja nicht tot, also griff sie zum Schnaps. Sie schaffte einen Liter Jägermeister bis Mittag, dann kaufte ich neuen für sie mit dem Fahrrad. Das fand ich nicht gut, doch wenn ich nicht fuhr, fuhr sie selbst. Betrunken und selbstmörderisch und die Autos bremsten nicht immer.
Also kaufte ich Jägermeister, es war Sommer und zu jeder Flasche schenkten sie einem eine Unze Grillsauce, Jägermeister-Grillsauce und das Zeug war das Einzige, was unseren Kühlschrank füllte, zum Bersten, dreißig, vierzig Flaschen davon.

Es ist mir bis heute ein Rätsel, wie man Jägermeister trinken kann.

Maria nahm sich eine Wohnung mit mir, obwohl sie wusste, dass ich sie liebte.
„Für dich wird das nicht einfach sein“, sagte sie. „Weil ich Tobi liebe und keine Rücksicht nehmen will, wenn er kommt.“
Aber ich wollte es trotzdem und dann lag ich oft wach, weil ich sie ficken hörte. Tobi fickte Maria. Maria, die ich liebte und ich war noch Jungfrau.
Ich ging dann nach unten und probierte den Jägermeister, aber es ist mir noch heute ein Rätsel, wie man den trinken kann.

Maria schlief immer vier Stunden. Vier Stunden, wenn sie zum Schlafen kam. Ich nutzte die Zeit, um zur Schule zu gehen, das Abitur stand bevor. Zum Glück war ich klug und brauchte den Unterricht nicht. Und wenn ich fehlte, fragten die Lehrer: „Welche Krankheit war es denn diesmal, Herr Lukas?“
Und ich sagte: „Keine Krankheit. Nur keine Lust.“
Und meine Augenringe machten ihnen Sorgen, und das graue Gesicht, aber später bestand ich mit 2,4 und war Jahrgangsbester in Deutsch.

„Erschieß mich doch endlich“, sagte sie, obwohl ich keine Waffe besaß.

Maria schlief immer vier Stunden, und wenn ich nicht im Haus war, da sie erwachte, ging sie auf die Suche nach Scherben. Sie fand immer welche, obwohl ich akribisch war. Und vom Trinken war ihr Immunsystem geschwächt und die Schnitte entzündeten sich, wurden zu Kratern, Krater an Armen und Beinen, deshalb blieb ich öfter zu Hause, um bereit zu sein, wenn es klirrte.
„Erschieß mich doch endlich“, sagte sie, obwohl ich keine Waffe besaß.

Maria schlief manchmal vier Stunden, und ich nutzte die Zeit, um Pfand wegzubringen. Hunderte Bierflaschen, die alle Säufer der Stadt in unseren Wohnräumen türmten, und vom Erlös kaufte ich Jägermeister und Bier, und ein Bifi Ranger für mich oder einen Schokoriegel, den ich leise lächelnd verspeiste.
Dann fuhr ich zurück in die dunkle Wohnung, dunkel durch die verrammelten Fenster. Maria mochte das Tageslicht nicht.

Ich fragte mich, ob das erste Mal immer so ist.

Maria hatte eines Tages eine Idee, sie fragte: „Warum ficken wir eigentlich nicht?“
Also fickten wir, es war mein erstes Mal und dauerte nicht lang und danach saß sie in der Wanne und heulte, heulte und schrie, wie schmutzig sie sich fühlte und ich saß woanders und fragte mich, ob das erste Mal immer so ist.

Dann machten wir es am nächsten Tag wieder und dann noch mal, danach saß sie in der Wanne. Beim vierten Mal wollte ich nicht.
„Ach komm“, sagte sie. „Hab dich nicht so.“ Und ihre Fahne wehte herüber, noch heute reizt mich dieser Geruch, und wenn er vom scheußlichsten Säufer stammt.
Doch ich sagte: „Nein, das mach ich nicht mehr. Es ist nicht so schön für mich.“
Da schrie sie wieder und schlug mein Gesicht und ich ließ es geschehen, naja.

Irgendwann waren wir auf der Straße und Maria war nüchtern, sie sagte: „Weißt du, ich würd gern noch mal mit dir schlafen, jetzt wo ich nüchtern bin.“
Also machten wir es und die Wanne blieb leer, stattdessen ging Maria ins Bett, in das ihre.
„Aber wir lassen die Türen offen okay?“, sagte sie. „Damit ich dich hören kann.“
Später schlief sie bei mir.

 

Wie das Kapitel endet, könnt ihr in Clints Buch Nie wieder Frieden lesen.


Titelfoto: © lauren rushing/flickrCC

Zurück zur Startseite