Lieblingsort auf den zweiten Blick: Minibar in Kreuzberg

Der Kater am Morgen gehört zu einem feucht-fröhlichen Abend leider meistens dazu. Und ab und an auch diese Momente am nächsten Morgen, wenn man zusammen zuckt und sich über seine Taten der vergangenen Nacht noch im Unklaren ist. Genau wie diese Momente gibt es auch die dazu gehörigen Orte, bei denen man nüchtern nicht mehr so ganz versteht, was einen in der letzten Nacht dorthin gezogen hat. Aber es zieht einen trotzdem immer wieder dort hin.

Einer dieser Orte ist die Minibar in der Graefestraße in Kreuzberg. Ich weiß nicht mal, ob sie wirklich Minibar heißt. An der Tür steht "Rakete". Für alle anderen bleibt sie die Minibar. Dort landet man, wenn alles andere bereits geschlossen hat oder das Gefühl aufkommt, dass man mittlerweile einen Pegel erreicht hat, mit dem man sich in seinen Stammlokalen nicht mehr blicken lassen sollte. Schließlich muss der nächste Abend ja wieder irgendwo starten. Und die Minibar betritt man nüchtern sicherlich nicht.

Ein kleines Versteck von der Außenwelt, in das man sich kuschelig eingehüllt von Rauch und Fahnen in Sicherheit wiegen kann.

Zu späterer Stunde jedoch, wenn diese gewisse Euphorie in der Luft schwebt, dann sind sich immer alle ziemlich schnell einig, wo es hingehen soll. Und diejenigen, die den Charme dieser kleinen Bar nicht verstehen, splitten sich ab und machen sich auf in ihre wohligen vier Wände. Charme hat dieses kleine Versteck durchaus. Morbiden Charme, würde meine Mutter sagen. So klein, dass man mindestens ein Mal daran vorbei läuft, ist die Minibar genau das, was man zu später Stunde benötigt. Ein kleines Versteck von der Außenwelt, in das man sich kuschelig eingehüllt von Rauch und Fahnen in Sicherheit wiegen kann.

Nach Öffnen der sperrigen Tür, erhascht man den gleichen Anblick wie er für Kreuzberg wohl typisch ist: eine Mischung aus Hipstern und Alkoholikern. Und man selbst irgendwo dazwischen. Unbemerkt kommt man hier nicht rein und ein grimmiges bemustert werden gehört auch zur Routine. Zum Eintreten muss man nämlich meistens dem ein oder anderen die Tür in die Rippen donnern, um sich Platz zu verschaffen. Dann heißt es, sich einen Weg durch die wohl dichtbepacktesten 4 Quadratmeter Berlins zu erkämpfen, um in den hinteren 2 Quadratmetern Platz zu nehmen. Dort, wo sich Rau(s)ch und Alkohol mit einem leichten Toiletten-Geruch vermischen. Und spätestens dann benötigt man dringend Nachschub.

Bis heute weiß ich nicht so ganz, was ich da jedes Mal trinke. Aber die neon-grüne Mischung ist legendär. Ich schau dem Barkeeper beim Mixen nie zu und ob es nun Gin oder Vodka mit Matcha ist, ist auch egal. Ich schmecke es jedenfalls nicht heraus. Zumindest nach all den vorherigen Drinks. Der Name beginnt mit „Green ...“, beim zweiten Wort schweife ich leider meistens ab, obwohl ich mir jedes Mal vornehme zu googlen, um was für ein Getränk es sich da handelt. Wobei das wahrscheinlich auch nicht so ratsam wäre. Denn wie der Ort ist auch der Matcha-Drink etwas, das seine Geheimnisse hat und das man nur zu sehr später Stunde verdauen kann. Aber er gibt Energie und verdrängt gekonnt die Vernunft, die einen nach Hause schicken möchte.

Diese Energie steckt man dann in tiefgründige, philosophische Gespräche über die momentane Weltlage, die eigene Zukunft oder welche Bar als nächstes angepeilt werden soll. In das Gespräch klinkt sich gern ein Berliner Urgestein ein – welches so aussieht, als hätte es den Ausgang aus der Minibar schon lange nicht mehr gefunden – und verkündet Ansichten, die bei Tageslicht wohl auch keiner mehr dulden würde. Aber hier ist Diskussion zwecklos.

Hier gibt es keine Attitüde und keine Fassade. Hier sind alle ganz unaufgeregt gleich.

Mit etwas Glück begegnet man hier auch einem weiteren Berliner Urgestein, der "Schrippen Mutti". Diese düst schon seit Jahren führerscheinlos mit ihrem kleinen Tucktuck von Bar zu Bar und bietet dort den verhungerten Seelen ihre hausgemachten Schrippen an. Im Gegenzug bekommt man ihre Lebensgeschichte vorgetragen und muss sich nach wenigen Minuten wohl eingestehen, dass das eigene Getränk nun den Besitzer gewechselt hat.

Während wir also ihre Schrippen genießen und sie unsere Matcha Vodka/Gin, entsteht genau dieser skurrile Moment, für den ich die Minibar so liebe. Hier gibt es keine Attitüde und keine Fassade. Hier sind alle ganz unaufgeregt gleich. Er ist einer dieser Orte, die Berlin für mich so ausmachen; ein Ort, der mir viele Fragen beantwortet und viele neue Fragen stellt; ein Ort, der einen abstößt und gleichzeitig anzieht; einen Ort, den man manchmal hasst und ganz oft liebt; ein Ort, der einem die innere Zerrissenheit aufzeigt und die Facettenvielfalt Berlins vereint.

Noch immer frage ich mich, welches ist dein wahres Gesicht, doch Du, Du behältst Dein Geheimnis für Dich. Berlin ich liebe Dich.

Lara Maria Gräfen


Wenn die Autorin dieses Textes, Lara Maria Gräfen, nicht gerade über ihren Lieblingsort schreibt, singt sie poetisch und wundervoll von ihrer Lieblingsstadt: Berlin.

Beim letzten Mal hat uns Clint seinen Lieblingsplatz, den Hermannplatz, vorgestellt.

 

Text: © Lara Maria Gräfen
Foto: © Charlott Tornow

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