Der kleine Online-Guide für inszenierte Trauer und Anteilnahme

In den letzten Wochen und Monaten hatten wir leider viel zu oft Gelegenheit, nach schlimmen Nachrichten den Zyklus digitaler Anteilnahme zu beobachten oder selbst zu durchleben: Wir waren erst Charlie Hebdo, dann Paris, dann Brüssel, haben für Ankara und Orlando gebetet, konnten Bowies Tod nicht fassen und den Brexit immer noch nicht.

Bei jedem Großereignis rollt innerhalb kürzester Zeit eine schnelle, heftige Welle der ostentativen Betroffenheit durch alle sozialen Kanäle. Mittlerweile werden nur noch die Symbole adaptiert und die Hashtags angepasst – und nach ein paar Tagen ist der ganze Spuk vorüber. Wie ihr auch selbst Trauer glaubwürdig im Netz inszenieren könnt, ohne euch eine Sekunde lang tatsächlich emotional oder geistig mit dem Ereignis auseinandersetzen zu müssen, haben wir hier für euch zusammengefasst:

Tag 1

Das Profilbild ändern

© Facebook

Der erste und einfachste Schritt, um zu zeigen, dass du von einem tragischen Ereignis weißt und Anteilnahme nimmst. Entscheidend ist der Zeitpunkt: Wenn drei von zehn Meldungen in deiner Facebook-Timeline darauf Bezug nehmen, kannst du dich schon mal innerlich vorbereiten, nach Peace-Zeichen, Regenbogenflaggen und "Je suis..."-Adaptionen zu suchen. Wenn deine Timeline zu 50% oder mehr aus Eilmeldungen besteht, ist der richtige Zeitpunkt zur Änderung. Wenn es ganz schnell gehen muss: Ein schwarzes Bild tut es für's Erste auch.

Alle sozialen Kanäle nutzen – und zwar richtig

Unterscheide zwischen den verschiedenen sozialen Plattformen. Auf Facebook eignet sich die Gefühlsleiste sehr gut, idealerweise gibst du dort bei einem kurzen Statusupdate an, dass du "geschockt" bist. Für Twitter reicht ein knappes Statement, wichtig sind vor allem ein bis drei relevante Hashtags. Für Instagram suchst du am besten ein stimmungsvolles Bild, dass du von reichweitenstarken Instagrammern klaust und verwendest als Bildunterschrift das "Gebrochenes Herz"-Emoji und/ oder das der jeweiligen Landesflagge.

Tag 2

Eine internationale Quelle zitieren

Signalisiere globales Themenverständnis, indem du ein renommiertes Medium zitierst oder Artikel davon postest. Alles, was auf Englisch ist, wirkt nicht nur polyglott, sondern auch besonders reflektiert und weitsichtig.

Informiertheit vortäuschen

Poste Beiträge von Jan Böhmermann oder John Oliver, die beiden reagieren verlässlich auf alles, was Thema ist oder wird und heben die Diskussion auf eine zeitgeistige Meta-Ebene, deren heller Schein auch dich erleuchtet wirken lässt, ohne dass du eine Sekunde lang ihre Beiträge gesehen haben musst.

Tag 3

Einen Dummen suchen

Noch einfacher, als selbst richtig öffentlich zu trauern und Bestürzung zu zeigen, ist es, jemanden zu finden, der es falsch macht. Dieser Tage ist das relativ einfach: Es ist meistens Donald Trump. 

Aktionismus simulieren

Bildet Banden! So lautet die Devise: Nutze jeden Möglichkeit, um öffentlichkeitswirksam bei Kundgebungen, Demos oder Podiumsdiskussionen zum Thema zuzusagen. Du gehst natürlich nicht hin und die meisten dieser Veranstaltungen finden auch nicht statt, aber rein theoretisch würdest du teilnehmen und schließlich zählt der Wille, nicht wahr?

Es zu einem Generationenproblem machen

Screenshot © Bento

Es ist Zeit, für einen Rundumschlag: In den Medien wird das Problem mittlerweile in den historischen Kontext eingeordnet, tu es ihnen gleich und poste irgendwas, bei dem die Worte "unsere Generation" und "Wir müssen endlich aufhören/anfangen, ..." vorkommen. Es geht schließlich um alles und alle hier!

Tag 4

Humor zeigen

Ja, die Lage ist Ernst, aber es ist an der Zeit, kurz eine ironische Distanz zu allem zu gewinnen und ein bisschen Humor zu beweisen. Auf Twitter und 9Gag finden sich meist sehr schnell lustige Adaptionen von GIFs und Memes, die du einfach kommentarlos raushauen kannst. Wer sich davon auf den Schlips getreten fühlt, hat mal wieder einfach nix verstanden, klar.

Die erhöhte Aufmerksamkeit ausnutzen – für was anderes

Jetzt, wo alle ständig Nachrichten lesen und den Newsfeed aufmerksam durchscrollen, um nichts zu verpassen, ist eine gute Gelegenheit, um für die Umfrage zu deiner Bachelor-Arbeit zu werben. Alle sind froh um ein bisschen Ablenkung und ein lässiges "Dauert echt nur 2 Minunten, Leute! ;-)" motiviert alle zum Mitmachen.

Tag 5

[Kunstpause]

Mit dem Thema bist du eigentlich schon spätestens seit Tag 2 durch, aber so völlig abrupt die Betroffenheitsshow abzubrechen geht natürlich nicht. Am einfachsten ist es, dich für einige Tage etwas zurückzuhalten und nur noch durch gezielt gesetzte Likes und Retweets in den sozialen Netzwerken aktiv zu bleiben.

Tag 6

Das Profilbild ändern

Es sind jetzt, je nach Größe und Reichweite des Ereignisses, fünf bis zehn Tage vergangen. Sobald auf den Startseiten der gängigen Online-Zeitungen wieder andere Themen dominieren, kannst du deine temporäre Profilbild-Anpassung wieder ändern. Außerdem ist jetzt ein guter Moment, um im Zuge dieser Aktualisierung gleich ein ganz neues Profilbild von dir hochzuladen, auf dem du noch besser aussiehst, als auf dem alten.

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