BERLINGESCHEHEN – Die Berlinale aus Sicht eines "Kleinstadtarschs"

Ich nehme es mir jedes Jahr vor: "Geh zur Berlinale und schau dir so viele Filme wie möglich an! "Aber ich schaffe es nie. Einmal hab ich sogar zweieinhalb Tage als Volontär in der Akkreditierung gearbeitet. Habe wie ein Gestörter Broschüren in Berlinale-Taschen gepackt. Das tut man, weil man dann einen Pass kriegt und sich alle Filme umsonst reinziehen kann. Doch was hab ich stattdessen gemacht? Ich Depp bin nach Hause gegangen. Mir war das alles viel zu mondän.

Letztes Jahr dann der nächste Anlauf. Ich stehe am Potsdamer Platz, kaufe mir ein Ticket für die Berlinale Shorts #2. Dabei versuche ich mich selbst zu beruhigen: „Reg dich nicht auf, das sind doch auch alles nur Menschen. Die Filmemacher haben mehr Angst vor dir, als du vor ihnen. Bestimmt sind die Filme ganz lustig.“ Dazu schiebe ich mir die Sonnenbrille tief ins Gesicht. Soll ja nicht jeder gleich merken, dass ich ein Kleinstadtarsch bin.

Kapitulation vor ukrainischen Nerds und paraguayischem Sex

Im Cinestar-Saal dann schnelle Ernüchterung. Der erste Beitrag ist ein Zeichentrickfilm: Zwei rote Linien bewegen sich in Zeitlupe aufeinander zu, dann Schnitt zu einer animierten Marilyn Monroe, die "FUCK YOU, AMADEUS" brüllt, dann Ende. Auf die Frage, was er damit aussagen wollte, gesteht der Urheber, ein ukrainischer Nerd, dass die Einreichung nur ein Scherz seiner Kumpels war und er überhaupt nicht versteht, was er hier soll.

Der nächste Film ist wesentlich länger. Mehrere Hornbrillenträger im Lendenschurz jagen sich lustlos über endlose Brachen, werfen hier und da einen Stein. Das geht so geschlagene zwanzig Minuten lang. Ich linse zwischendurch zu den anderen Kinobesuchern. Sie wirken sehr konzentriert. „Viel will ich zu dem Film gar nicht sagen“, bemerkt einer der Hornbrillenträger nachher im Interview. Dann redet er nochmal zwanzig Minuten.

Können die nicht woanders ficken?

Vielleicht bin ich wieder mal zu sarkastisch. Aber als auch das nächste Machwerk nicht mehr her gibt, als einen halb erigierten Penis, der zu Grindcore-Klängen geschüttelt wird, klinke ich irgendwie aus. Der Moderator freilich gibt sich tierische Mühe. Er kramt sogar sein Englisch hervor: „So, ähm, you wrote us, that your movie ist about love and sex between... men and angels. Is that correct?”

Die Anführerin einer Clique aus Paraguay, die sich STUDIO 53 nennen (Ihr wisst schon, bevor das Studio 54 und so), beugt sich herablassend zum Mikro:„Which movie you show here? Yellow Number Seven?"
„Ähm, no... Nicaragua Spring.”
„Ahh, I see.” Sie und ihre Jungs verdrehen genervt die Augen. „Well, you know, it’s almost the same. We shoot a lot of this stuff. So, yeah, it’s about love and... sex and... ah, what the fuck.”
Sie verlässt mit ihrer Gruppe die Bühne.
„Genial“, flüstert ein Typ neben mir seiner Nachbarin zu. Sie nickt energisch und greift seine Hand. Können die nicht woanders ficken?

Ich nutze die Pause, um mich dezent aus dem Staub zu machen. Am roten Teppich halte ich Ausschau nach Olli Schulz, um wenigstens EINEM normalen Menschen zu begegnen. Doch offenbar hat er frei. Trinke ich eben allein.

Das war letztes Jahr. Jetzt ist 2016 und die Berlinale steht schon wieder ins Haus. Ich bin voller guter Vorsätze. Will mindestens die Hälfte der Wettbewerbsfilme sehen. Habe mir auch schon einen neuen Flachmann besorgt. Einen größeren diesmal. Irgendwann muss ich schließlich die Kurve kriegen. So lasset die Kindlein zu mir kommen und wehret ihnen nicht, denn solcher ist das Reich Gottes.


Beim letzten Mal ist Clint durch die Berliner Behördenhölle gegangen.

Titelbild: © Siebbi/FlickrCC

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