Zerstören Smartphones wirklich unser Liebesleben?

Wir sehen einen bärtigen Mann in einer Sofaecke sitzen, in der anderen sitzt seine Freundin – beide starren auf ihr Handy. Sie besprechen kurz, ohne sich anzusehen, was sie essen wollen. Ihm ist es egal. Plötzlich ist das WLAN weg. Da erwacht er aus seiner Displaylethargie und ruft eine Hotline an. Die Frau am anderen Ende kann aktuell nichts machen. Was nun? Das Pärchen setzt sich auf den Wohnzimmerboden, hört sich nach anfänglicher Ratlosigkeit Platten an, trinkt und versucht, miteinander zu sprechen. Es klappt nicht. Sie streiten. Er geht ins Bett.

Dies ist eine Szene aus dem Minifilm „Disconnect“ von Elite Daily. In 6 Minuten wird vorgeführt, wie unsere Handysucht das Liebesleben zerstört. In den Kommentaren darunter steht: „Wow I literally just cried.”

Sind wirklich Smartphones daran Schuld?

Es passiert in Restaurants, in Bushaltestellen, auf Rolltreppen, in Wohnzimmern – überall. In hellen Momenten bemerken wir es und schütteln mit dem Kopf, wenn wir in die blau gefärbten Gesichter sehen. Oftmals sind wir es aber selbst, die in der einen Sofaecke sitzen und gemeinsam allein sind. Aber sind wirklich die Smartphones daran Schuld?

Vom britischen Fotografen Martin Parr gibt es eine wunderbare Fotoserie namens “Bored Couples”. Er fotografiert Pärchen, die sich nichts zu sagen haben und sich gemeinsam langweilen. Auf einem Foto sitzen zwei Jugendliche an einem Tisch, in der Mitte eine Cola. Mit hängenden Schultern start er ins Leere, sie stützt ihren Kopf auf der Hand ab und schaut an ihm vorbei. Das Foto wurde vermutlich Anfang der 90er Jahre gemacht. Heute hätten beide ein Smartphone in der Hand und wir würden “Ach, die Armen” denken. Aber macht es einen großen Unterschied, ob man ins Leere oder auf sein Display schaut, wenn man sich mal nichts zu sagen hat?

Macht es einen großen Unterschied, ob man ins Leere oder auf sein Display schaut, wenn man sich mal nichts zu sagen hat?

In der Retrospektive wird gern romantisiert. Am Anfang des Films von Elite Daily sieht man die Protagonisten flirtend in der Küche, dann auf dem Sofa liegend, über den tiefen Sinn des Lebens redend. Ich habe nie gesehen, dass sich meine Eltern Platten, Kassetten oder irgendetwas gemeinsam angehört haben, rauchend am Tisch saßen und stundenlang gequatscht haben. Auch die Eltern meiner Freunde nicht. Wenn wir in den Urlaub gefahren sind, dann saßen wir oft stundenlang schweigend im Trabant. Beim Abendbrot saßen wir einfach am Tisch und haben stumm in uns hinein gekaut. Auch ohne Display.

Kein Problem der Neuzeit

Ich glaube nicht, dass allein die Smartphones daran Schuld sind, dass wir uns in Sofaecken verkriechen. Viel mehr ist es die Unfähigkeit, in der Gewohnheit etwas Spannendes zu entdecken oder sich aus der eigenen Komfortzone zu entfernen. Und das ist alles andere als ein Neuzeitproblem.

Statt die Handys, die wir sowieso nicht mehr los werden, zu verteufeln, sollten wir Dinge erleben, die wir uns erzählen können. Da hilft es, dass man mal ohne den Partner in den Urlaub fährt. Es hilft auch, dass man sich zum Geburtstag ein Abenteuer statt ein praktisches Gerät wünscht, es hilft auch, dass man Freunde zu sich nach Hause einlädt. Für die nächste lange Autofahrt kann man sich zum Beispiel den "Fragebogen" von Max Frisch oder die Fragen von Marcel Proust mitnehmen. Er fragt: "Was möchtest du sein?" "Deine Lieblingsfarbe?" "Dein Lieblingsvogel?" "Dein Held der Wirklichkeit?"

Und es wäre auch kein Verbrechen, wenn man sich die Fragen vom Display abliest, solange man die Antworten woanders sucht.


© Titelbild: Elite Daily

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