Wenn ein Urlaub nicht mehr reicht – David Noel erzählt uns von seinem dreimonatigen Sabbatical

Alle sieben Jahre schließt der Designer Stefan Sagmeister sein Studio in New York für ein Jahr, um neue Energie zu tanken und die Kreativität wieder zu beleben. Er nimmt dann eine Auszeit, ein Sabbatical. In Deutschland ist das Konzept noch nicht ganz so verbreitet, aber immer häufiger fällt der Begriff "Sabbatical" auch hier. David Noel arbeitet seit sechs Jahren bei einer großen Berliner Musikplattform. Ende Juni merkte er, dass er dringend mal eine Pause braucht. Kündigen wollte er nicht. Stattdessen nahm er sich eine Auszeit.

Du hast für drei Monate ein Sabbatical gemacht, seit etwa zwei Wochen bist du zurück. Wie viele Mails waren in deinem Postfach, als du zurückkamst, und wie lange hast du gebraucht, um sie abzuarbeiten?
Über 2.500, da war aber auch viele Benachrichtigungen von internen Systemen und dem Kalender dabei. Ich habe kurz überlegt, wie ich die am besten abarbeite und bin dann nach dem Ausschlussverfahren vorgegangen, habe die Mails nach Absender, Empfänger, Gruppen, etc. gefiltert und dann archiviert und die behalten, die ich lesen wollte. So war ich nach zwei Stunden durch und hatte 70 Mails übrig, die ich lesen wollte.

Für Sabbaticals gibt es ganz unterschiedliche Gründe. Burnout vorbeugen, reisen wollen, in einen anderen Job eintauchen. Warum hast du ein Sabbatical eingelegt?
Über die Idee und den Begriff "Sabbatical" hatte ich mit meiner Chefin schon fast vor über einem Jahr gesprochen. Man geht ja bei der Arbeit durch verschiedene Phasen, auch engergiemäßig. Ich bin jetzt schon 6 Jahre in meiner Firma. Irgendwann habe ich gespürt, dass es mir an Antrieb, Kreativität, Energie fehlt. Da war es eigentlich schon fast zu spät und ich habe gemerkt, ich brauche eine Pause, um eine Perspektive zu schaffen. Ein Urlaub hätte da nicht mehr gereicht, gehen wollte ich aber auch nicht. Dann kam das Angebot, dass ich ein Sabbatical machen kann.

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Wie lang vorher hast du das geplant?
Das ging nach der Entscheidung recht schnell. Eigentlich ist es aber gut, wenn man ein Sabbatical plant, schon ein Jahr vorher die Gespräche anzufangen und sechs Monate vorher einen Plan aufzusetzen. Das war bei mir etwas komprimierter, ich hatte nur zwei Monate für die Vorbereitung, aber glücklicherweise jemanden im Team, der meine Aufgaben zum Teil übernehmen konnte.

Warum hast du dich dann entschieden, zu reisen und nicht beispielsweise etwas Neues zu erlernen?
Ich wusste, wenn ich in Berlin bleibe, bin ich zu nah dran am Unternehmen und am Alltag. Meine Liste an Orten, die ich gerne mal sehen wollte, war lang. Aber ich habe die ganze Route nicht vorgeplant, das hätte mich zu sehr gestresst. Der Plan war, keinen Plan zu haben. Das ist auch gut gelaufen. Ich habe an jedem Ort erst entschieden, wohin es als nächstes gehen soll. Das war eine recht unstrukturierte Reise, also habe ich mir eine tägliche Routine reingeholt.

Ich wusste, wenn ich in Berlin bleibe, bin ich zu nah dran am Unternehmen und am Alltag.

Wie das?
Ich habe jeden Tag fünf Sachen gemacht: 30 Minuten mindestens physische Aktivität, zum Beispiel Yoga oder spazieren. 30 Minuten Lesen, 30 Minuten Schreiben, 30 Minuten Meditieren und jeden Tag jemandem ein Kompliment aussprechen oder etwas Gutes tun.

Was hast du für nette Sachen gemacht?
Trinkgeld geben ist immer das Einfachste, das Spontanste, was man geben kann. Und damit kann man Kellnern echt den Tag verschönern. Das Schwierigste ist hingegen, Unbekannten ein Kompliment zu machen. Ich habe dann versucht, im Restaurant konkretes Feedback gegeben, was genau ich gut fand. Habe spontan Leute gefragt, ob ich ihnen beim Fotografieren helfen kann (statt Selfies). Ich habe auch ein bisschen Zeit mit Freunden und Familie verbracht und da viel gesprochen, mir die Zeit genommen. Das Schönste ist eigentlich, dass ich durch diese Nettigkeiten auch selbst positiver an den Tag heranging, weil ich aktiv nach Situationen suchte. Wir unterschätzen oft wie sehr eine kleine gute Tat oder ein nettes, ernst gemeintes Wort jemanden den gesamten Tag verschönern kann. Sich dessen Einfluss bewusst zu sein ist fantastisch.

Machst du das immer noch alles?
Sport und Ernährung sind immer noch stark im Fokus und einigermaßen strukturiert. Ich habe gerade der Tochter meiner Putzhilfe meinen Fernseher geschenkt, da ich ihn nicht nutze. Im Büro versuche ich jeden Tag, jemandem positives Feedback zu geben.

 

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Gab es eigentlich eine große Frage, der du in dieser Zeit nachgehen wolltest?
Im Vorhinein hatte ich keine große Frage. Es ging wirklich nur darum, drei Monate auf mich allein gestellt zu sein. Es hat sich aber ziemlich schnell herausgestellt, dass über die ersten zwei oder drei Wochen die Themen konkreter wurden. Es gab so fünf, sechs Pakete, die mich bewegt haben. Langfristige Ziele. Beruflich, privat. Das andere Paket war der Tod meiner Mutter. Dann habe ich mich im letzten Jahr ziemlich schlecht ernährt, hatte kein gutes Jahr, was Sport angeht, habe an Gewicht zugenommen. Das sind nicht gerade leichte Themen. Da kann man sich nur Schritt für Schritt, Tag für Tag durcharbeiten. Am ersten Tag öffnete ich mein Moleskine und schrieb: "Was ist die David Story?".

Während des Sabbaticals ist man komplett aus dem Job raus. War das schwierig für dich, abzuschalten?
Nee, das ging sofort. Es war ja auch alles ganz gut vorbereitet und kommuniziert, dass ich drei Monate weg bin. Die letzte Aktion, die ich an dem Freitag, an dem ich gefahren bin, gemacht habe: einen Kollegen gebeten, ein neues E-Mail-Passwort für mich festzulegen und es mir nicht zu verraten. Als Selbstschutz. Ich habe den Zugang aber auch ab dem ersten Tag nicht mehr vermisst. Dadurch, dass dann erstmal Wochenende war, ging der Übergang ganz gut. Hätte ich selbst auch gar nicht gedacht. Das hat mir aber im Nachhinein gezeigt: Das war so nötig, das habe ich so gebraucht.

Alleine zu sein war wahrscheinlich das Wichtigste an der ganzen Reise.

Du bist drei Monate allein durch die Welt gereist. Hättest du im Nachhinein gern einen Reisepartner dabei gehabt?
In einer stark vernetzten Welt, wo das Eintauchen in ein Universum nur eine App oder ein Klick entfernt ist, suchen wir fast schon ständig nach Ablenkung und Beschäftigung. Daher war es mir wichtig, alleine zu sein, mich abzunabeln und nach innen zu schauen. Unglaublich, was man dann auf einmal alles hört.

Dadurch, dass ich alleine unterwegs war, haben sich aber auch ganz lustige Situationen ergeben. Ich hatte immer mein Notizbüchlein dabei, auch wenn ich irgendwo Mittag essen war. Als ich mal wieder in einem Restaurant in Mexico City saß und Notizen gemacht habe, haben mich die Kellner übertrieben freundlich behandelt und mir extra einen Tisch in der Mitte des vollen Restaurants angeboten. Erst konnte ich mir die Aufmerksamkeit nicht erklären. Irgendwann habe ich dann kapiert: Die halten mich für einen Restaurantkritiker. In Italien dachten sie, ich wäre ein Schriftsteller.

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Wie ging es dir nach deiner Reise? Haben dir drei Monate gereicht?
Ja, das war eigentlich ganz cool. Dadurch, dass ich wusste, wann es anfängt und aufhört, wusste ich, wofür ich reise. Sonst findet man vielleicht kein Ende. Ich habe mich gefragt, wie krass es sein muss, ein Jahr lang zu reisen. Aber dann plant man seine Zeit auch ganz anders. Ich habe nach drei Wochen in Mexiko entschieden, dass ich um die Welt reisen möchte und hab das dann auch gemacht. Das Ziel, eine Distanz aufzubauen und sich mich selbst zu vernetzten, hat auch funktioniert. Sport, Fitness, Ernährung konnte ich auch wieder in den Griff kriegen.

Wie ist es jetzt, wieder zu arbeiten?
Die Energie ist wieder da, der Antrieb, die Inspiration. Es ist super, wieder etwas zu tun zu haben, einen Sinn zu haben, wieder mit Leuten zu arbeiten. Aber ich habe mir auch eine gesunde Grenze aufgebaut, um mich nicht wieder in einen Sog zu geraten. Es ist natürlich immer noch die Frage, wo ich langfristig hin will, aber es ist nichts, was mich nervös macht.

Wenn du nochmal vor der Wahl stündest: Wann würdest du wieder ein Sabbatical machen, wann dann doch eher kündigen?
Ein Sabbatical ist auf jeden Fall immer die bessere Lösung, wenn man seinen Job eigentlich gern macht. Ich würde es jedem empfehlen, der sich das ermöglichen kann. Wenn man es nicht kann – das ist es natürlich einfacher gesagt, als getan – sollte man sich Elemente in den Alltag einbauen, eine Routine für sich zu entwickeln, was zum Beispiel Sport angeht. Kleine Sabbaticals quasi.


Fotos: 1-7: © David Noel, 8 & 9: ©  Milena Zwerenz

 

 

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