Was mir seit Paris wirklich Angst macht

Sonntagabend, nach Mitternacht. Ich komme am Zentralbahnhof an, möchte nur so schnell wie möglich nach Hause und dann in mein Bett fallen. Die Straßen sind leer, ein einziges Taxi hält gerade an der Ampel. Ich winke es heran und setze mich samt Reisetasche auf die Rückbank. Ich bin müde und wortkarg. Manchmal schaue ich nach vorne, um zu sehen, welchen Weg wir nehmen.

Und dann sehe ich es: Der Fahrer schielt mich aus dem Augenwinkel an. Zuerst ignoriere ich ihn, aber als ich in meiner Tasche nach meinem Handy krame, bemerke ich seine Nervosität deutlich. Seine Finger tippen unruhig auf dem Lenkrad herum. Und da spüre ich, was ich noch nie gespürt habe: sein Misstrauen.

Plötzlich denke ich, dass es ein Fehler war, mich hinter ihn zu setzen und nichts zu sagen. Ich möchte ihm ein gutes und sicheres Gefühl geben, weiß aber im selben Moment nicht wie. Sein Körper ist dermaßen angespannt, dass ich mir sicher bin, dass er gleich ein Pfefferspray, ein Messer oder sonst irgendetwas, was man eben so zur Selbstverteidigung benutzt, zückt. Und da ist es auch bei mir: das Misstrauen, die Angst.

Zwischen Misstrauen, Angst und Unsicherheit

Schweigend fahren wir die letzten Meter, kurz vor der Ankunft sage ich ein paar sehr nette Sätze. Endlich. Ich bezahle, steige aus und atme durch. Doch das Taxi bleibt stehen, der Fahrer fährt erst weiter, als ich meine Haustüre aufsperre. Fast so, als würde er einen Beweis dafür wollen, dass ich hier wirklich wohne. Dass ich mich nicht zu der Übergabe einer Bombe treffe, die ich in meiner großen Reisetasche mit mir herumschleppe.

Am nächsten Tag steigen meine beste Freundin und ich in die U-Bahn, eine Frau kommt aufgekratzt auf uns zu. Da wäre eine herrenlose Flasche mit einer durchsichtigen Flüssigkeit drin. Sie hat Angst. In diesen Zeiten wisse man ja nie. Wir beide sehen uns irritiert an, finden es erst übertrieben. Als wir die Flasche dann begutachten, wissen wir aber auch nichts zu sagen. Wie sieht denn eine Flasche aus, in der eine gefährliche Flüssigkeit ist? Wir beruhigen sie und sagen, dass das schon nichts sein wird. Richtig sicher sind wir uns aber auch nicht. Und setzen uns vorsichtshalber einmal weiter weg von der Flasche.

Es ist gefährlich, jetzt immer Angst vor sämtlichen Gegenständen und – noch viel schlimmer – voreinander zu haben.

Zuhause denke ich darüber nach, wie bescheuert und auch gefährlich das ist, dass wir jetzt alle Angst vor sämtlichen Gegenständen – und noch viel schlimmer – voreinander haben. Das Fatale bei der Angst nach Terroranschlägen ist ja: Natürlich wird sie irgendwann weniger präsent sein, aber sie wird nie wieder ganz weggehen. Wir werden alle wieder nach Paris reisen, aber nie mehr mit dem selben unbefangenem Gefühl. Hinter Paris steht von nun an für immer der Angriff vom 13. November in Klammern dahinter, so wie die Flugzeugangriffe mittlerweile zu New York gehören.

Durch die Anschläge in Paris sind nur neue Ängste dazugekommen: Angst vor Konzerten, Angst vor einem Besuch in einem belebten Café, Angst vor Paris, Angst vor Menschenansammlungen, Angst vor Belgien, Angst vor Brüssel, Angst vor Ausländern, Angst vor Muslimen, Angst vor dem Fremden, Angst vor Bomben, Angst vor Fußballspielen. Die Liste ließe sich beliebig ergänzen.

Die Wahrscheinlichkeit, in Europa sein Leben bei einem Terroranschlag zu verlieren, ist geringer, als an einer Pilzvergiftung zu sterben

Und das ist verdammt schade. Sicherlich, Angst ist kein Gefühl, das logisch nachvollziehbar ist oder das man durch Fakten kleiner machen könnte. Spinnen greifen in der Regel niemanden an, trotzdem haben sehr viele Menschen Angst vor ihnen. Doch als der Risikoforscher Ortwin Renn letztens bei Deutschlandradio Kultur sagte, dass die Wahrscheinlichkeit, in Europa sein Leben bei einem Terroranschlag zu verlieren, geringer ist, als an einer Pilzvergiftung zu sterben, ließ mich das schon aufhorchen.

Heute Morgen las ich, dass die Pariser Einkaufsstraßen leer sind, weil im Moment keiner seinen Weihnachtseinkauf dort machen möchte. Der Hotel- und Gaststättenverband UMIH berichtete von einem Besucherrückgang von etwa 40 Prozent im Vergleich zum gleichen Zeitraum 2014 – und das tat mir sehr leid. Als wäre Frankreich nicht schon genug getroffen durch den Terroranschlag. Es ist vielleicht gewagt, so eine Aussage „in diesen Zeiten“ zu treffen, aber wenn man nach Paris fahren sollte, dann jetzt! Im Moment ist es dort wahrscheinlich so sicher wie noch nie.

Wir sollten unsere Leichtigkeit zurückgewinnen und diese verdammte Angst loswerden.

Zudem kommt: Wir können nicht wissen, was als nächstes passiert. Ob wir in unserer Dusche ausrutschen, vom Linienbus überfahren oder eben bei einem Konzert in Paris erschossen werden. Das ist grausam und schwer hinzunehmen, aber anstatt uns gegenseitig Angst einzuflößen, sollten wir genauso entspannt sein wie davor. Wenn nicht sogar noch entspannter. Wir sollten U-Bahn fahren und auf Konzerte gehen. Wir sollten nach Paris fliegen, wie wir auch wieder nach New York reisen. Wir sollten unsere Leichtigkeit zurückgewinnen und diese verdammte Angst loswerden.

Was mir nämlich wirklich Angst macht, ist nicht bei einem Terroranschlag zu sterben, sondern von einem ängstlichen Taxifahrer angefallen zu werden.


Titelfoto: © Death to Stock Photography

 

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