Warum Berlin nie zu meiner Heimat wird

© Jürgen Bürgin

Es gibt gefühlt zu viele Texte über Heimat und das Gefühl, das diesem Ort wohl inne wohnt. Die Leute bekommen dann beim Schwadronieren immer gleich feuchte Augen, reden von “Zauber” und erzählen von bunten Blumenvasen, Kaminöfen, Kinderzimmern und knarzenden Holzböden, die nach Bohnerwachs duften. Von Apfelbäumen oder dem Geruch des frischgemähten Grases, was mich allerdings nicht interessiert, weil ich keine Bolleröfen kenne, und Gras für mich immer irgendwie auch nach Hundekacke stinkt. Es nervt. Wenn ich mich innen drin gut fühlen will, mach ich mir eine Flasche trockenen Rotwein auf oder esse Kuchen, bis ich warm werde. Ich bin meine Heimat. Das kann ich überall sein. Ich möchte also lieber von meiner Nichtheimat Berlin erzählen und warum es gerade so kompliziert mit uns ist.

Berlin ist für die meisten nur die Übergangsjacke unter den Städten

Denn: Hand aufs Herz, in Deutschland ist Berlin leider bisher ziemlich alternativlos, zumindest wenn man Lust auf internationale Freunde, eine boomende Kultur und eine vorhandene Tech-Szene verspürt. Hamburg ist zu klein und zu sortiert. München zu sauber. In Köln tragen sie gebügelte Hemden und Gel in den Haaren. In Dresden ist Pegida. Berlin ist für die meisten dennoch nur die Übergangsjacke unter den Städten, die zu keiner Lebensphase so richtig passen will und für die man sich ständig vor sich selbst rechtfertigen muss. Wenn man sich einmal dafür entschieden hat, hier zu leben, funktioniert man nur noch sehr begrenzt in den Puppenorten mit den schmalen Horizonten, aus denen man stammt. Aber man ist dennoch erstmal zu klein für die große, weite Welt. Für London. Für Tokio. New York. Bangkok.

Man akzeptiert die hohen Zäune, die akribisch die Herzlichkeit in kleine Parzellen abteilen

Das kleinste Übel also, und man bleibt vorerst hier und nimmt alles hin, wie es einem auch die anderen Millionen Berliner gleichtun. Die deutsche Mentalität, die Engstirnigkeit, das offensive Starren, das ständige Vergleichen und das Überhöhen des eigenen Egos durch das Herabstufen der Anderen. Die passive Aggression. Hooliganautofahrer. Touristenströme. Berliner Schnauze. Man akzeptiert die hohen Zäune, die akribisch die Herzlichkeit in kleine Parzellen abteilen und dafür sorgen, dass das Positive nur unter sich bleiben kann. Unter Partnern, in der Familie und unter Freunden. Wer nicht zu diesem Mikrosystem gehört, ist Konkurrenz und wird auch so behandelt. Verschenkt wird in Berlin nichts. Man lässt sich die Butter nicht vom Brot nehmen.

In den letzten Jahren habe ich einige Zeit in San Francisco gelebt und fiel jedes Mal nach meiner Ankunft in einen schweren Schockzustand, um mich dann nach einigen Tagen der Eingewöhnung begeistert auf diese Stadt einzulassen. Aber woran lag es? Warum buhlte San Francisco so um mich? Wieso hatte ich dort nie ein Übergangsjackengefühl? Wenn man sich in diesem Teil Kaliforniens unter Menschen bewegt, wird einem nicht die besagte Butter vom Brot genommen, sondern vollkommen fremde Menschen schmieren einem sogar noch welche obendrauf. Mit einem Lächeln. Irgendwann hat man dann ein meterdickes Brot und strahlt ebenfalls.

Oft kam es vor, dass völlig fremde Menschen sich in Alltagssituationen nach meiner Laune und meiner Story erkundigten. Ich habe dann von der deutschen Brotzeit erzählt, von Dönern, Hummus und Falafel. Ich habe Stunden damit verbracht, bei Taquerien-Mitarbeitern über die miesen deutschen Avocados zu klagen. Ich bin in Parks beim Sonnen angesprochen und zu BBQ-Partys eingeladen worden. Und selbst wenn man sich nicht für mich interessierte, dann war ich schlimmstenfalls gleichgültig und kein feindliches Objekt, das man mit Blicken herabsetzen und akribisch in eine Schublade einordnen musste.

Die vielen Schlaglöcher spürt man in Berlin in diesen Tagen nicht nur auf den Straßen, sondern auch in den Gemütern

Nach einiger Zeit konnte ich das Gefühl dann sehr gut greifen, benennen und von Berlin abgrenzen: Offenheit und Selbstbewusstsein. In San Francisco lebt man lieber, anstatt sich ständig selber zu beweisen, wie gut man gerade eigentlich im Vergleich zu den anderen lebt. Gelassenheit. Ein generelles Interesse an Kommunikation und Vielfalt, bei dem es sich die Deutschen oft viel zu einfach machen, wenn sie diese Art von Freundlichkeit und Aufgeschlossenheit als “amerikanische Aufgesetztheit” abtun, anstatt die positiven Moves zu adaptieren.

Die vielen Schlaglöcher spürt man in Berlin in diesen Tagen nicht nur auf den Straßen, sondern auch in den Gemütern. In dieser Stadt geht gerade sehr viel kaputt und anstatt es zu reparieren, sind wir wütend auf alle anderen, die auch hier sind und es ebenfalls nicht reparieren. Berlin sollte sich mal entspannen. Vielleicht, denke ich mir, ist Berlin aber auch nur deshalb so, weil es die Nichtheimat von 3,5 Millionen anderen Menschen ist.


Titelfoto: © Jürgen Bürgin

Zurück zur Startseite