Turnverein, Kegelclub und Schützenhaus – Manuel Möglich erzählt von Deutschland in Namibia

Manuel Möglich, den ihr aus der ZDFneo-Serie "Wild Germany" kennen könntet, hat ein Buch geschrieben. Darüber, wo man Deutsche und ihre Kultur auf der Welt antrifft. Wir haben eine kleine Kostprobe für euch.

Aus dem Buch: "Deutschland überall – Eine Suche auf fünf Kontinenten"
Kapitel: Namibia – Hitlers und des Kaisers Geburtstag in Südwest

Frisch, fromm, fröhlich, frei – das Turnerkreuz mit den vier roten F klebt unübersehbar an jeder Glastür der Bleibe, in der ich die Nacht verbringe. An Glastüren, so viel ist schnell sicher, mangelt es hier nicht. Auf dem kurzen Weg von der Rezeption zu meinem Zimmer gehe ich durch drei davon, alle mit den mächtigen roten Aufklebern geschmückt. Weitere sehe ich am Eingang der Gästezimmer. Ich bin begeistert, dass ich im tiefen Süden Namibias an Turnvater Jahn erinnert werde. Ob seine F ein Anzeichen dafür sind, dass ich auch hier Deutschsprachigen begegnen werde? Ein wenig aufgeregt nutze ich hochmotiviert die letzte Stunde Tageslicht, um die Nachbarschaft zu erkunden und noch ein paar Fotos zu schießen. Doch weit komme ich nicht. Vor dem Haupteingang des Gästehauses steht ein zierlicher, keine zwei Meter hoher Köcherbaum mit verzweigter, rundlicher Krone. Wegen dieser seltenen Pflanze steuern Touristen diese Region an, denn nordöstlich der Stadt sind in einem ganzen Köcherbaumwald so viele Exemplare wie nirgends sonst im Land zu finden. Sagt jedenfalls meine Reiselektüre. Doch weniger der Baum erregt meine Aufmerksamkeit als vielmehr ein beleuchtetes Schild an der zartgelben Fassade des Hauses. Darauf steht in altdeutschen Lettern:

Schützenhaus
Knobelklub 1907
Restaurant
Mitgliederkneipe

«Du machst viele Bilder», höre ich eine junge Stimme auf Englisch sagen.

Ich drehe mich um und sehe einen jungen Schwarzen. Er macht einen freundlichen Eindruck und wirkt wie zur Arbeit gekleidet. Seine Uniform besteht aus einem weißen Oberhemd, schwarzen, etwas zu großen Buntfaltenhosen und der dazu passenden Weste. Auf der linken Brust eine goldene Stickerei in altdeutscher Schrift: Schützenhaus Keetmanshoop. Ronny arbeitet erst seit zwei Monaten als Kellner im Restaurant des Hauses. Ohne dass ich ihn frage, erzählt er von seinem Monatsgehalt, sechshundert Namibia-Dollar, etwa fünfzig Euro.

«Sechshundert Dollar?» Ich bin nicht sicher, ob ich ihn richtig verstanden habe.

Ronny wiederholt die Zahl in einer Weise, die unmissverständlich deutlich macht, dass das auch in Namibia nicht allzu viel ist. Mein äußerst funktional eingerichtetes Einzelzimmer mit Frühstück kostet pro Nacht fünfhundert Dollar. Trotzdem findet Ronny seine Arbeit in Ordnung und die meisten Gäste auch. Nur manche von den Alten sollen etwas komisch sein.

«Wie komisch?», frage ich. Er zögert einen Augenblick, wirkt beinahe verlegen um eine Antwort, aber erklärt dann mit knappen Worten, dass eben ein paar der Alten immer noch so denken wie früher. Ich befrage ihn nach Deutschland. Überraschenderweise fällt ihm nichts dazu ein. Wirklich gar nichts! Auch der Türöffner Fußball verfehlt seine Wirkung. «Ich schaue Premier League und bin Fan von ManU. Und von der brasilianischen Nationalmannschaft.»

Deutschlandfahne

Ronny schlägt mir vor, dass ich in der Bar des Hauses doch ein Bier trinken könnte. Ob er denkt, dass ich als Deutscher Bierliebhaber sein muss? Seine Idee überzeugt mich jedenfalls sofort. Durch eine weitere Glastür mit Turnerkreuz geht es zurück ins Schützenhaus, Richtung Bar. Die Fichtenholzdecke im Flur der Rezeption erinnert an einen muffigen Hobbyraum vergangener Tage. Ein gerahmtes Schwarzweißfoto, es zeigt das Porträt eines Mannes mit Hemd und Fliege. Starrer Blick, kühle Ausstrahlung. Darunter in einer alt anmutenden Handschrift:

MAX BRANDENBURG
GRUENDER DES TURNVEREINS
«GUT HEIL 1907»

Turnverein, Knobelklub und Schützenhaus. Langeweile dürfte hier vor hundert Jahren bei all den Vereinen und Aktivitätsmöglichkeiten nicht geherrscht haben, obwohl Max Brandenburgs Miene das nicht gerade vermuten lässt. Ronny stoppt vor einer dunklen Flügeltür aus Eichenholz. Überraschenderweise prangen daran nicht die vier F, sondern ein Schild in deutscher und englischer Sprache: Bis hierhin und nicht weiter. Oder tatsächlich:

PRIVAT
GÄSTE UND MITGLIEDER

Hinter dieser Tür ist die Bar, signalisiert Ronny mit einer Handbewegung. Ich nicke, drücke die Klinke und trete wie durch eine Zeitschleuse hinein in eine andere Welt. Mit jedem Schritt wächst das Gefühl, zurück in mein Heimatdorf in der hessischen Provinz der frühen 80er katapultiert worden zu sein. Dieser mir unbekannte Ort in Namibia gleicht auf den ersten Blick etwas Vertrautem, das in meinem Gedächtnis unter dem Begriff urdeutsche Dorfkneipe abgespeichert sein könnte. Das Inventar und die Anwesenden: alles wie aus einer vergangenen Zeit, in der Kneipen noch von Wirten und nicht von Innenarchitekten eingerichtet wurden. Ein gefülltes Regal mit Weinen und Spirituosen. Dazwischen kleine Metalltafeln. Auf denen steht Underberg, CASH ONLY oder Our house wine is Jägermeister.


Auszug aus "Deutschland überall – Eine Suche auf fünf Kontinenten" von Manuel Möglich, das am 27. Februar 2015 im Rowolth Verlag erscheint.

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