Sternburg, Britney Spears und Knoblauchbaguette – Jule Müller erzählt, wie man 2004 WG-Partys feierte

Aus dem Buch: Früher war ich unentschlossen, jetzt bin ich mir da nicht mehr so sicher
Kapitel 10: Geheimnis-Günther stellt sich vor

Berlin-Mitte | Alter: 22

Jasmin und ich stehen im Magnet-Club. „Guck mal, der da hinten ist süß!“, sage ich zu ihr und zeige auf einen Emo-Jungen, der an einer Säule lehnt. Sie geht zu ihm rüber, ich bleibe an der Bar stehen. Die beiden unterhalten sich kurz, dann drückt sie ihm einen grünen Zettel in die Hand, er lächelt. „Und? Kommt er?“, will ich wissen, als sie wieder vor mir steht. „Klar!“, brüllt Jasmin halb besoffen. Wir highfiven uns und exen zwei rote Schnäpse. Die Vorbereitungen für unsere große Einweihungsparty am Samstag in der Spaß-WG laufen auf Hochtouren. Schlau wie wir sind, verlassen wir uns nicht einzig auf unsere Freunde, sondern akquirieren noch zusätzliche Gäste. In Bars. Und Clubs. Hauptsächlich Männer. Den Text für unsere Flyer (in Comic Sans, klar) haben wir mit unserem Mitbewohner Martin entworfen und total businessmäßig unsere Adresse und Klarnamen samt Telefonnummern hinzugefügt. Damit die fremden Leute uns auch anrufen können, bevor sie kommen, um unser Mobiliar zu zerstören.

Der erste Anruf lässt nicht lange auf sich warten. Es ist Geheimnis-Günther, der wissen will, ob er Undercover-Uwe mitbringen darf. Wir kennen beide nicht, aber: Klar! Wer sich nicht scheut, extra für uns Alliterationen zu erfinden, der muss sogar kommen.

Am Tag der Party buckeln wir vom Edeka an der Ecke kistenweise Sternburg hoch in die WG. Warum viel Geld ausgeben, wenn man den halben Liter auch schon für 19 Cent bekommt? Außerdem verstecken wir alle unsere Wertsachen: die zwei Britney-Spears-Parfums, das Kleingeldglas und den großen Amethysten, der normalerweise von unserem Klavier aus Pressholz strahlt. Mit Alufolie funktionieren wir die unkaputtbaren Glasschälchen aus dem Osten zu topmodernen Aschenbechern um. Leider schaffen wir es nicht mehr, die Klotür zu reparieren. Aber abschließen ist eh was für prüde Kids, und es kann ja einfach immer jemand draußen aufpassen. Jasmin und ich stylen uns vor den altmodischen Spiegelfliesen an unserer Wohnzimmertür. Ich habe mein Lieblingsshirt an – es ist schwarz mit einem goldenen Aufdruck, dessen Inhalt völlig irrelevant ist. Meine blonden Haare trage ich heute offen, hab auch extra noch mal nachblondiert. Es klingelt. Oha. Jetzt geht es los.

<b>Gut gemacht, endlich mal wieder was kaputt.</b>

Ein paar Stunden später habe ich schon viel zu viel getrunken und irre über den Flur. Ganz schön voll. Wer sind die bloß alle? Ich schiebe mich grob durch die Leute, bis ich endlich in der Küche auf Jasmin stoße. Sie balanciert gerade eine Banane auf dem Kopf, während sie Schnaps aus dem Plastikbecher trinkt. Als sie mich sieht, fällt sie mir um den Hals und kreischt mir was ins Ohr. Die Banane fällt zu Boden, jemand tritt aus Versehen drauf, der Fruchtbrei verteilt sich über das Linoleum. Wir lachen, wir sind jung und in der Spaß-WG. Ich fühle mich warm. Innerlich. Ich liebe jeden, sogar die Hässlichen. Ich möchte Leuten simsen, Leute fotografieren, eine rauchen, Fleisch berühren. In meinem Kopf surrt es, meine Füße spüre ich kaum noch. Martin reicht mir eine Flasche Erdbeersekt. Ich bin glücklich.

Im Flur höre ich jemanden kreischen. Ich gehe gucken. Ein Mädchen liegt manisch lachend auf dem Boden zwischen lauter Schuhen. In einer Hand hält sie einen Drink in die Höhe, der droht, jede Sekunde vergossen zu werden. Unter ihr ist das komplette Schuhregal zusammengebrochen. Die anderen jubeln ihr zu. Gut gemacht, endlich mal wieder was kaputt. In der Küche geht Glas zu Bruch. Durchatmen, Jule, durchatmen. Ich quetsche mich auf den Balkon. Es sind so viele Leute so dicht gedrängt hier, dass ich Angst habe, dass wir gleich samt Mauerwerk einen Abgang machen. Können Balkone abbrechen? Jemand pinkelt vor meinen Augen über die Brüstung direkt in den Hinterhof. „Ey, sag mal, geht’s noch?“, motze ich ihn an. Er pinkelt noch gemütlich zu Ende und lässt seinen Schniedel dann wieder in der Hose verschwinden.

Ich setze mich auf den Boden im Flur, um kurz mal zu verschnaufen. Dabei fällt eine der Abschlussleisten um, die wir nie angeklebt, sondern nur lose gegen die Wand gelehnt hatten. Es klingelt an der Tür. Jasmin grölt in die Sprechanlage, um dann zu merken, dass der Besuch schon oben sein muss. Schwungvoll öffnet sie die Wohnungstür. Draußen stehen zwei Männer und eine Frau, sie tragen Uniformen und Schlagstöcke. Wahrscheinlich eher keine Stripper.
Och nö.

<b>Draußen stehen zwei Männer und eine Frau, sie tragen Uniformen und Schlagstöcke. Wahrscheinlich eher keine Stripper.</b>

Unauffällig moonwalke ich in Martins Zimmer rüber. Jasmin wird das schon regeln. Mir stellen sich zwei Fremde vor. Es sind Geheimnis-Günther und Undercover-Uwe! Und sie haben sogar einen ganzen Kasten Bier mitgebracht! Ich falle ihnen in die Arme. Inzwischen sind die Stripper wieder verschwunden, dafür ist die Klotür ausgehakt. Ich weiß nicht, ob das mit jemand Weisungsbefugtem abgesprochen war, aber macht eigentlich Sinn – geht ja eh nicht zu. Und so kann man vom Pott aus dem Breakdance-Battle im Flur beiwohnen. Martin macht den Robot Dance erstaunlich gut. Ich schließe mich mit einem kleinen Propeller-Versuch an – die Fliesen im Flur bieten den perfekten Untergrund dafür. Ziemlich wenig Grip. Jasmin steht neben mir und feuert mich an. Als ich wieder aufstehe, knalle ich erst gegen die Wand und rutsche dann noch mal auf etwas Bananenmus aus. Dann muss ich mich übergeben. Welcher Idiot hat bloß die Badtür ausgehängt?

Mein Kopf wummert, als wäre er die ganze Nacht zwischen zwei Asphaltplatten gequetscht gewesen. Mein Magen rumort. Wie spät es wohl ist? Irgendwas schnarcht. Langsam öffne ich die verkrusteten Augen und drehe mich um. Suki und Hannes liegen neben mir. Das ist okay, die beiden kenne ich schon lange. Sukis haariges Bein ruht auf meinem. Das wiederum ist nicht okay. Ich drehe mich wieder zurück. Mein Blick fällt auf etwas auf meinem neu verlegten Laminatboden. Ich lasse meinen Arm aus dem Bett plumpsen, um es zu berühren. Es ist ein schwarzer Aufkleber, auf dem ein weißer Penis prangt. Mir wird wieder schlecht. Ich renne ins Badezimmer - bei jedem Schritt bleiben meine Füße am Boden kleben - und übergebe mich in ein Klo voller Zigarettenstummel. Bin ich ja schon gewohnt.

Als ich wieder im Flur bin, sehe ich Jasmin im Wohnzimmer zwischen Bierflaschen und Erdnussflipstüten liegen. Ihre Augen hat sie geöffnet, sprechen will aber noch nicht so recht klappen. Martins Tür ist zu. Ich schleiche zurück in mein Zimmer, nehme mein Kissen und gehe zu Jasmin. Auf SAT.1 läuft gerade eine Wiederholung von O.C. California. Ich schiebe Klamotten, Zigarettenschachteln und eine halbvolle Flasche Rum vom Sofa und lege mich hin. Ich würde Jasmin gerne fragen, wie es ihr geht, stöhne aber nur leise. Sie nickt, ohne mich anzugucken. Martin kommt viel zu gut gelaunt aus seinem Zimmer zu uns auf die Couch. „Na, jemand Bock auf n Bierchen?“ Ich werfe ihm zur Strafe ein Stück Baguette an den Kopf.

Was für ein geiler Abend!


Auszug aus Jule Müllers Buch "Früher war ich unentschlossen, jetzt bin ich mir da nicht mehr so sicher", das am 2.2.2015 im Knaur Verlag erscheint

Übrigens liest Jule morgen im 25hours Hotel. 19.30 Uhr geht's los. Hin da!

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