Muss ich als Fleischesser beim Schlachten von Tieren zuschauen können?

Sollte man als Fleischesser kein Problem damit haben, bei der Schlachtung und Zubereitung von Tieren zuzusehen? Ich glaube nicht und finde mich trotzdem beim "Butcher Happening" wieder, wo ich mit zehn anderen Menschen ein Lamm und ein halbes Schwein zerlegen und zu Wurst und Koteletts verarbeiten werde.

Als Kind wünschte sich meine Mutter zum Geburtstag mal einen ganzen Broiler. Nur für sich. Denn Fleisch war in der DDR rar. Als ich selbst noch ein Kind war, kam bei uns zu Hause dementsprechend viel Fleisch auf den Teller, denn meine Mutter mochte Fleisch und jetzt war es überall erhältlich. Auf meinem Teller landeten nicht nur Schnitzel und Koteletts, Schinken, Leber- und Blutwurst, sondern auch heute weniger verbreitete Tierteile wie Hühnerherzen, Rinderzunge, Schweineschwänze, Pansen und Hirn. Paniertes Hirn. Ich ekele mich mittlerweile bei dem Gedanken daran. Aber als Kind machte ich mir über die Herkunft meines Essens keine Gedanken. Im Fokus stand die Nahrungsaufnahme und Hungerbefriedigung. Wenn man so will, war ich mit 7 ein größerer Foodie als heute.

Denn heute esse ich nur noch selten Fleisch (aus verschiedenen Gründen, um die es hier nicht gehen soll). Aber immerhin so viel, dass Vegetarier in meinem Umkreis meinen, dass ich als Fleischesser kein Problem damit haben sollte, zu sehen, wie das, was auf dem Teller landet, hergestellt wird. Aber ist das wirklich so? Ich habe schon selber Fische gefangen, ausgeweidet und am Abend gegrillt. Muss ich mir auch anschauen können, wie ein weitaus größeres Tier zerlegt wird? Muss ich, nur weil ich Fleisch esse, das Bedürfnis haben, beim Schlachten von Schweinen, Rindern, Lämmern, etc. zuzusehen?

An einem Samstag im August stehe ich also trotz großen Widerwillens vor dem Bio-Supermarkt Biolüske in Lichterfelde und bereite mich mental darauf vor, heute beim "Butcher Happening" zusammen mit zehn anderen Menschen ein Lamm und ein halbes Schwein zu zerlegen und zu Wurst und Koteletts zu verarbeiten. Während ich die Einladung zu diesem Event bei Erhalt noch vehement ablehnte, rekapituliere ich auf der Fahrt in den Süden Berlins mein Verhältnis zu Fleisch. Eigentlich weiß ich nämlich wenig über seine Verarbeitung – wie die verschiedenen Teile des Tieres heißen, welches Teil für für welche Fleischsorte benutzt wird und was vom Tier man überhaupt verarbeiten kann.

Was kommt eigentlich auf unseren Teller? © Sophokles Tasioulis/Berlin Food Week
Der Stempel zeigt die Herkunft des Tieres für den Weiterverkauf an. © Charlott Tornow

Das Lamm und das halbe Schwein, das wir heute zerlegen, stammt vom LandWert Hof in Stahlbrode, südlich von Stralsund in Mecklenburg Vorpommern. Der Bauernhof legt großen Wert auf eine artgerechte Freilandhaltung und hochwertiges Fleisch. Dort arbeiten auch die Fleischermeister Maick Boeck und Benjamin Jacobi, die heute mit uns Lamm und Schwein zerlegen und verarbeiten. Noch an jenem Samstagmorgen haben sie die Tiere geschlachtet, gehäutet und von Stahlbrode nach Berlin gefahren – 13kg Lamm und eine Schweinehälfte von 60kg. Jetzt liegen sie nackt und tot auf den silbernen Arbeitsplatten im Biosupermarkt.

Ich hatte einen metallischen Geruch von Blut erwartet, aber man müsste schon die Nase auf das Fleisch legen, um etwas zu riechen. Die Tiere sind feinsäuberlich vorbereitet – kein Blut, keine Innereien; natürlich sieht es auf einem Schlachthof etwas anders aus, aber so können wir uns einfacher mit der Situation anfreunden. Die wertigen Teile der Tiere wurden mit einem Stempel des Bauernhofs versehen, um beim Weiterverkauf die Herkunft anzuzeigen. Bevor es an das Zerlegen geht, erklären uns die Fleischermeister noch, welche Teile für welches Endprodukt genutzt werden: Aus der Wamme wird beispielsweise Leberwurst gemacht; das Filet dagegen ist ein innenliegender Muskel, deswegen so zart und wird dementsprechend auch nicht für Bratwurst verwendet. Alles Dinge, die man auch im Internet nachlesen kann, aber wann macht man das schon?

Fleischermeister Maick Boeck beim Zerlegen der Schweinehälfte. © Sophokles Tasioulis/Berlin Food Week 

Zusammen mit Maick Boeck zersäge ich einen Teil des Lamms. © Sophokles Tasioulis/Berlin Food Week 

Präzisionsarbeit. © Charlott Tornow


Das Formen von Würsten bedarf  etwas Feingefühl. © Sophokles Tasioulis/Berlin Food Week 

Nach zwei Stunden Arbeit sind die Schweinebratwürste fertig. © Charlott Tornow

Auf den metallischen Arbeitsplatten liegen neben den Tieren auch unsere Arbeitsgeräte für heute – Sägen, Messer und ein Fleischwolf. Maick Boeck und Benjamin Jacobi machen vor, wie das Zerteilen geht. Dann müssen wir ran, deswegen sind wir hier. Ich bin jetzt eigentlich froh, dass ich das Schwein nicht selber töten musste; so kann ich mir das tote Tier recht schnell als abstrakten Arbeitsgegenstand vorstellen, das in eine gewünschte Form gebracht werden muss. Es ist überhaupt erstaunlich, wie schnell man mental umschalten kann – wie das ehemals lebendige Tier, das wir zu Beginn noch bedauerten, plötzlich ein abstraktes Produkt ist. Auch hier hilft die sterile und stilvolle Umgebung, die mit einer Fleischerei nicht zu vergleichen ist.

Wir versuchen uns am Fleischwolf und Würzen der Bratwurstmasse; das Einfüllen in die Därme erfordert noch mehr Aufmerksamkeit als das Sägen und sogar eine gewisse Feinfühligkeit, denn der Darm für die Würste ist dünn und reißt schnell. Als die Lamm- und Schweinebratwürste sowie die Koteletts dann nach zwei Stunden einen zubereitungsfähigen Zustand erreicht haben, macht sich ein fast stolzes Grinsen auf den Gesichtern der Anwesenden breit – wir haben uns unser Essen, das jetzt nur noch gebraten werden muss, erfolgreich erarbeitet.

Als ich dann am Nachmittag mit vollem Magen wieder nach Hause fahre, habe ich meine Einstellung gründlich überdacht. Ja, man sollte wissen, woher das verzehrte Tier kommt, wie es verarbeitet und Fleisch hergestellt wird, um es auch guten Gewissens essen zu können. Vielleicht könnte ich beim nächsten Mal sogar einer Schlachtung beiwohnen. Mit vollem Magen werde ich dann aber sicher nicht hingehen.

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Nächste Woche findet die Berlin Food Week statt und bei dem Event "From Nose To Tail" könnt auch ihr die beiden Fleischermeister vom LandWert Hof in Aktion sehen, selber anpacken und selbstgemachte Würste probieren.

12.10.2014 | Kaufhaus Jandorf | 1. Durchgang: 11:00 – 13:15 Uhr, 2. Durchgang: 13:30 – 16:00 Uhr | Eintritt: frei

 

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Titelfoto: © Sophokles Tasioulis/Berlin Food Week 

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