Heilige Zeit, gestresste Zeit

Heilige Zeit, schöne Zeit, heißt es ja. Weihnachten ist die angeblich besinnlichste Zeit des Jahres, man feiert zu Hause mit der Familie, einem Tannenbaum und viel Liebe. Bei mir sieht das etwas anders aus. Mein Weihnachten gleicht eher einer kleinen Odyssee. An Heiligabend hier, am 1. Weihnachtsfeiertag dort, am 2. Weihnachtsfeiertag bei dem einen und danach noch anderswo, dazwischen 1000 km mit dem Auto, ein jammernder Kater auf der Rückbank. Jeden Tag andere Menschen, jede Menge Alkohol, aber, ja, auch viel Liebe.

Genau das ist das "Problem". Weihnachten ist schließlich immer noch ein Fest, das man mit geliebten Menschen verbringen möchte. Und davon gibt es eine ganze Menge, vor allem in meiner Patchworkfamilie. Das Wort klingt blöd und nach einer hässlich zusammengeflickten Decke, aber letztlich bin ich wohl in genau so einer Familie gelandet (zusammengeflickt, nicht hässlich). Als Kind fand ich es noch cool, doppelt Geschenke zu bekommen, mittlerweile zeigen sich die Nachteile. Die ganze Familie in drei Tage zu pressen funktioniert leider nicht. Auf – überspitzt formuliert – "moderne Zeiten" sind die traditionellen Feiertage schlichtweg nicht ausgelegt. Deshalb feiern wir mit einem Teil der Bande manchmal schon am 23.12. vor oder am 27. noch nach. Damit wird Weihnachten für mich jedes Jahr vor allem ein Fest der guten Planung.

Geschenke für jeden organisieren, genügend Stunden für alle mitbringen, es jedem Recht machen wollen, von einem Fest zum nächsten feiern, zwischendurch keine langen Pausen. Vier Tage lang erzählt man immer wieder, was man gerade macht, was man gerade nicht macht, wie es so ist in Berlin. Je nachdem, wem mit wem man spricht, lässt man dabei gewisse Passagen aus oder baut andere ein. Uns geht es gut, und bei euch so?

Ich kann Leute verstehen, die über die Feiertage wegfahren.

Der größte Nachteil aber: Man sieht sich nur kurz und damit steigen die Erwartungen an jedes Festchen für sich ins Unermessliche. Die kurze Zeit, die man zusammen hat, diese heilige Zeit, soll besonders schön sein. Trotzdem dauert es jeweils einen Moment, sich auf jede Personenkonstellation neu einzustellen. Manchmal geht das ganz schnell, manchmal funktioniert das aber auch bis zum Schluss nicht so richtig. Weihnachten allein reicht eben nicht, um von null auf gleich eine Nähe zu erzeugen, die den Rest des Jahres fehlt.

Ich kann Leute verstehen, die über die Feiertage wegfahren. Eine gute Präventivmaßnahme, um unangenehme Situationen mit den Eltern oder anstrengende Gespräche zu vermeiden. Gleichzeitig entgehen diesen Leuten aber auch die schönen Seiten des Weihnachtstrubels, die Wiedersehensfreude, das Essen und, von mir aus, auch nur der gute Sekt. Ich möchte keine meiner zahlreichen Weihnachtszusammenkünfte missen. Jede kommt völlig anders daher, laut und lachend, trinkend und singend, ruhig und schön. Trotzdem hat das Ganze mit "Heilige Zeit, schöne Zeit" nicht mehr viel zu tun. Heilige Zeit, supervorgeplante Zeit, das trifft es wohl besser.


Titelfoto: thewallpaper.com
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