Berlin ist nicht out. Nur hungrig.

© Matze Hielscher

Da ist man nur zwei Wochen im Urlaub und schon gilt die geliebte Hauptstadt als uncool. Die New York Times und der Rolling Stone haben uns in Artikeln wie eine heiße Kartoffel fallen lassen, wie Amy & Pink das zusammen fasst. Wir müssen natürlich auch noch unseren Senf dazugeben.

Die Relevanz der Clubs für die Berliner Ausgehkultur hat in der Tat abgenommen. Ich glaube aber, dass es zu einfach ist, nur die neue Nachbarschaft, die geldgierigen Investoren und lallenden Touristen dafür verantwortlich zu machen. Musikalisch fehlt es seit Jahren an Innovation. Wann wurde das erste Mal zu Techno getanzt? Und wie lange sollen wir noch eine einsetzende Viertelbassdrum morgens um 7 Uhr abfeiern? Die Aufregung, gerade für uns Berliner, ist einfach vorbei. Gefühlt sind wir in einer Endlosschleife von Techno- und Hip Hop-Parties gefangen. Eine neue Jugend- und Musikkultur ist nicht in Sicht. Da helfen auch keine Pillen und kein Boiler Room.

Ein Grund (von vielen) für das Clubsterben dürfte der demographische Wandel sein. Denn nach der Wende ging die Geburtenrate der Bundesrepublik so richtig in den Keller. Und diese Kids wären jetzt im besten Ausgehalter und fehlen natürlich. Ein weiterer Grund sind die gelangweilten und wegbleibenden Berliner. In Mitte hat das Flamingo von Club-Impresario Connie Opper über Nacht seinen Namen geändert, um dem sterbenden Schwan noch mal neuen Lippenstift drauf zu tun. Die Schminke hat nicht gereicht: Jetzt freut sich die Fläche wieder über einen neuen Nachmieter und Opper versucht sein Glück in Neukölln. In seinen Clubs und auf seinen Partys wollten vor 10 Jahren alle Berliner tanzen. Ähnlich erging es dem Picknick in der Dorotheenstrasse. Wenn dort nicht Engtanz oder Abschiedsparty stattfand, war die Luft raus. Während sich die Diskokugeln nun einsam oder für Touristen drehen, gehen die alten Clubber lieber in die neuen Restaurants und Bars der Stadt. Denn dort findet gerade die Innovation statt.

Als ich am Wochenenden um 22:30 Uhr (!) in der Schlange zum Parker Bowles stand, haben um mich herum alle von den Restaurants gesprochen, aus denen sie gerade kamen und demnächst unbedingt hinwollen. Im Prince Charles fand im Januar die Burger & Hip Hop Party statt, der Laden platzte aus allen Nähten. Die Markthalle 9 in der Eisenbahnstraße ist das neue Berghain. Die vielen kleinen Fressinseln mit den herzlichen Menschen drauf sind Balsam für unsere unfreundlich bedienten Augenringe. Was dort beim Streetfood Thursday los ist - nicht nur besuchertechnisch, auch von der Euphorie und Diversität der Gäste her - vermisse ich schon lange im Club.

Kavita Goodstar, das Postergirl der Foodszene, ist Mitbegründerin des Street Food Thurdays und hat die Burgerparty im Prince Charles sowie andere Sachen veranstaltet. Ihren Konzepten rennt die halbe Stadt hungrig hinterher. Gerade hat sie für einen Monat „The Bar Market“ in der Cuvrystrasse eröffnet. Dort servieren Sommeliers, Brauer und Mixologen Freitag- und Samstagnacht Drinks. Und dort trifft man sie wieder: Die Berliner.

Der ehemalige Senatsreservenspeicher war in den letzten 9 Jahren Ausstellungsfläche und muss nun seine Tore für Luxuspläne schließen. Dass das scheiße ist, will ich gar nicht in Frage stellen. Doch vor ein paar Jahren hätte man diesen traurigen Umstand wohl eher mit schlechten Drinks aus Plastikbechern und einer Bassdrum begossen. Jetzt wird aufwändig gemixt, weniger getanzt und um 3 Uhr geht man nach Hause.

Im schummrigen Barlicht stehend, ein selbst gebrautes Bier trinkend hat man nicht das Gefühl, dass diese Stadt out ist. Berlin hat eher Hunger und Durst. Auf etwas Neues.

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