"Stadt ist bei Ankunft immer die Vorstellung von einem besseren Leben" – Eine Diskussion in der KINDL Brauerei.

Berlin verändert sich ständig. Ich sage das immer allen, die kommen und fragen, ob das nicht schrecklich sei. Aber ich kenne es nicht anders. Manchmal fehlt mir deswegen auch das Gemüt für die Gentrifizierungsdiskussion, obwohl ich weiß, dass es richtig ist zu sprechen, vielleicht fehlt mir auch einfach nur der eine wirkliche Faden. Also einer von den vielen. Nach einem Abend in der ehemaligen KINDL Brauerei hab ich aber wieder Lust danach zu suchen. Von der Schwierigkeit, eine gute Stadt zu sein.

Auf dem Podium sitzen Axel Timm (raumlabor), Cordelia Polinna (Center for Metropolitan Studies/TU Berlin, Think Berl!n) und Thibaut de Ruyter (Kunst- und Architekturkritiker), daneben Peter Schiering (Kunstjournalist (TV), Vorstand SALON NEUCOLOGNE e.V.), er soll moderieren. Der kleine Raum hinter dem, der einen beeindruckt, aber mit Bauzäunen abgesperrt wurde, ist voll mit Menschen in Mänteln, es ist kühl, wir sitzen auf Kisten, alle murmeln, lachen, warten. Es gibt nachbarschaftliches Bier, Rollberg Bier von nebenan. Manchmal klirren die Flaschen auf dem unverputzten Boden. Wir wollen über das reden, was man Nachbarschaften nennt.

Und Schiering steigt ein mit der Frage, warum urbane Räume für Menschen eigentlich so spannend seien (50% aller Menschen auf der Welt leben in urbanen Räumen), in meinem Kopf poppen Bilder der New York Skyline auf, Luftaufnahmen aus Rio de Janeiro, Berlin erst einmal nicht. Man denkt ja schnell in Extremen, und ich versuche das abzuschütteln. Stadtplanerin Polinna sagt, die Attraktivität von Städten habe vor allem mit ökonomischen Zwängen zu tun, Notwendigkeiten, das würden wir hier in Europa noch nicht so erleben, denn bei uns ginge es bei der Entscheidung, ob wir in eine Stadt ziehen, vor allem um Lebensgefühl. "Die Anonymität der Stadt wird bei uns als Vorteil empfunden" sagt sie, "ebenso die Vielfalt und das Angebot an Möglichkeiten". Dennoch, und hier höre ich genauer hin, dürfe man nicht vergessen, dass sich Bewohner einer Großstadt ihre Stadt auch immer wieder als Dorf formen. Deswegen gibt es Kieze und Bezirke, Gegenden, in denen man sich immer wieder aufhält, den Lieblingsbäcker, wir kennen das. Wir imitieren also das Dorf, obwohl in ihm nicht leben wollen. Timm vom Raumlabor sagt: "Stadt ist bei Ankunft immer die Vorstellung von einem besseren Leben". Was auch meint, dass Stadt sich immer nur durch Ankunft von Neuen entwickelt und entwickeln kann. Ich notiere mir diesen Satz und will ihn für einen Moment verschiedenen Menschen an die Stirn tackern.

Die Teilnehmer des Podiums werden nach Stadtplanungsprojekten gefragt, die ihrer Meinung nach richtig gut gelaufen sind, wo etwas funktioniert hat. Und Axel Timm erzählt von der Highline in Manhatten, die ursprünglich als Garten auf den Trassen der ehemaligen Metro angelegt wurde. Seit 2006 wird daran gearbeitet, der erste Teil wurde 2009 eröffnet. Ein Garten in der Stadt mit Blick auf Dächer und Straßen - klingt gut, wird aber direkt von Timm dementiert, der Grundgedanke sei ein guter gewesen. Dennoch gilt die Highline gilt als neues Gentrifizierungsgebiet, Timm sagt, an ihr könne man jeden Tag sehen, wie Verdrängung stattfindet. Wo ein Garten angelegt wird, entsteht begehrtes Gebiet, da steigen die Preise.

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Cordelia Polinna findet es vor allen Dingen spannend, wo es schiefgeht. Als Beispiel nennt sie die Kindertagesstätte in der Dresdener Straße. Das ehemalige Parkhaus wurde nicht einfach abgerissen sondern in seiner Nutzung umgestaltet. Genau das würde sie interessieren, so Polinna, der Umgang mit alter Textur. Daraus sind verschiedene Geschosse und ein Dachgarten entstanden, die Straße wurde daraufhin verkehrsberuhigt.

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Thibaut de Ruyter ist Berlin-Fan. Berlin sei eine gelungene Stadt. Alle fünf Jahre ändere sich hier etwas radikal, und jedes Mal werde ein völlig neuer Ort daraus. An Berlin sähe man, was Stadt eigentlich für ein lebendiges Element sei. Timm hingegen seufzt, er meint, stadtplanerisch sei in Berlin einiges schiefgegangen. Gerade in Bezug auf Politik und das Engagement für bezahlbaren Wohnraum. In Berlin entscheide der Finanzsenator, welche Liegenschaften zu wie viel Prozent gewinnbringend verkauft werden müssen, sonst niemand. Deswegen müssten Berlins Bürger die Politik unter Druck setzen, wenn sich etwas ändern soll. Und auch Cordelia Polinna meint: "Das Zitat 'Arm, aber sexy' wird man in Zusammenhang mit Berlin nicht mehr lange bringen können. In Europa ist Berlin eine sichere Anlange für Investoren, hier sind noch Renditen zu machen."

Wir sollen also Druck machen. Besetzen. Lärmen. "Vielleicht es Investoren auch einfach unbequem machen in Gebieten, in die sie investieren wollen", so Timm. Aber ist das die Lösung? Macht das die Stadt schöner, wenn man es unbequem macht? Schiering fragt, ob es nicht auch angenehmere Formen der Stadtbesetzung geben könne. Und die Nutzung von baukulturellem Erbe wäre eine Möglichkeit. Was das heißt? Die Nutzung von baukulturellem Erbe bedeutet, nicht ständiges Abreißen und Neubauen sondern mit dem, was da ist, zu arbeiten, es umzugestalten, Flächen neu zu erfinden, sich Räume anzueignen, die da sind und im ersten Moment vielleicht nicht so wirken, als könne man etwas mit ihnen tun. Doch: Die Stadt muss das zulassen.

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So schließt Schiering die Frage an, was denn nun eigentlich mit Mitte passiere, ob dort von nun an jedes Gebäude, jedes bauliche Element corporate und von Firmen besetzt sei. Den Eindruck kann man ja bekommen, wenn man rund um den Hackeschen Markt spaziert. Polinna erwähnt in diesem Zusammenhang den Ansatz, den die Tate Modern versucht hat, umzusetzen. Dabei geht es darum, dass Investoren, die sich mit einem Projekt in einen Kiez "einkaufen", zum Beispiel bevorzugt Menschen aus dem Quartier einstellen. "Investoren sollten hier Kreativität entwickeln, um Bauvorhaben angemessen zu integrieren und das jeweilige Quartier gemeinsam zu gestalten", so würden Bauvorhaben auch positiver angenommen und das Prinzip Nachbarschaft werde wieder lebbar. De Ruyter nennt in diesem Zusammenhang auch den Boros Bunker als Beispiel, da käme dann einer, setze Kunst in einen Bunker ohne Fenster, benenne diesen Bunker nach sich selbst, anmelden könne man sich nur per Mail, "alles klar, da weiß man, was er will. Integration ist was anderes, aber wenigstens hat er eine klare Haltung". Ein besseres Beispiel sei der Me Collectors Room, auch eine Kunstsammlung, aber angeschlossen an einen offenen Raum, nämlich ein Café mit öffentlichen Veranstaltungen, es gehe ja immer um Offenheiten, so gestalte sich Nachbarschaft, sagt de Ruyter.

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Immer wieder kommt das Gespräch zurück auf jene, die in der Stadt wohnen. Jene, die die Stadt nicht in Form von Investitionen benutzen sondern durch Leben, durch Alltag. Es geht immer noch um die Frage: Wie wollen wir eigentlich leben? Und weißt du, wie dein Nachbar mit Vornamen heißt? Warst du schon mal auf einer Demonstration? Bist du im Mieterschutzbund? Wonach wählst du aus, für welche Wohnung du dich bewirbst? Was ist dir wichtig? Und machst du mit? Am Ende stehen alle mit einem Rollberg Bier in der Hand noch eine Weile herum, die Stimmen hallen zwischen den Mauern der alten Brauerei. Auch diese Veranstaltungen der KINDL Brauerei und des KINDL Zentrums für zeitgenössische Kunst werden gemacht, um mit den Menschen ins Gespräch zu kommen, die drumherum wohnen. Drüben der Kaisers hat noch offen, als wir heraustreten und unseren Atem sehen können. Gegenüber Reihen von Neubauten. Niemand von denen, die diese Veranstaltung besucht haben, wohnt dort, wette ich. Kein einziger.

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